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Die magische Laterne des Herrn Zinkeisen

Titel: Die magische Laterne des Herrn Zinkeisen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willy Seidel
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verlorengehen. Ich hatte mein Bett herübergeschafft in die Nähe des Ofens.
    Sie schlief. Ich ging leise hin und her; dann holte ich mir einen seidenen, sehr bunten Hausmantel, den die »andere« mir einst geschenkt und den ich nie seitdem getragen . . . So eine Mischung von Zauberonkel und Pascha, mit großen Quasten. Die kleine Jungfrau wird erwachen; sie wird auf einem Jahrmarkt sein und doch zu Hause . . . Dann ging ich in die Küche und machte Tee. Ich vergewisserte mich, daß in meiner Hausapotheke nichts fehlte. Alles baute ich neben ihrem Bett auf und als sie nicht erwachte, brachte ich mit unendlicher Vorsicht das ausgepackte Puppenhaus herzu. Ich beschlich sie, ich belauerte sie. Zuweilen durchlief sie ein Zittern, und ihre Beine zuckten. Die feingebogene Nase, im Mienenspiel wechselnder Traumbilder, zitterte an den Nüstern; sie pustete den Atem von sich wie ein kleiner Motor . . . Unendlich rührend klang dieser gehetzte Ton.
    Du kannst mir nicht verlorengehen, dachte ich; ungeheure Willensanspannung steifte mich förmlich im Stuhl. Probier' es nur, mir zu entwischen! Ich bin schneller als du! – Die Stille sang und brodelte wie sonst. Kleines Geknatter, winziges Geschütz zerplatzte im Ofen. Auf einmal war mir, als rassele mein Ich um ein paar Stufen tiefer; ich sank mit dem Stuhl durch den Teppich . . . Denn während ich auf das blasse, junge Gesicht mit den seidigen Wimpern starrte, war mir, als läge dort eine bloße Form aus Gips, der Abguß einer edlen Form, vom Gesicht meiner Frau  . . . Leblos; ein Abguß nur . . . Nein, nein, nein!! Das konnte doch noch nicht der Schattenfinger sein, der den Pendel jäh anhielt! Wissen Sie noch, was ich Ihnen zu Anfang erzählte? Wie ich sagte: »Der Atem war plötzlich nicht mehr da?? « – Aber er war ja da, war da wie ein winziger Motor; die Fasern im Linnen schwankten; blase weiter, mein Engel! Gott segne den kleinen Muskel, der an deinem blassen Munde zuckt! Wie ein Ertrinkender schlürfte ich Tee. Auch Kognak tat ich hinein. Gut; ich war munter. Hatte ich die Streichhölzer? Ja, ja; in jeder Tasche eine Schachtel; nichts konnte passieren; gar nichts. Das Schlimme passierte ja damals auch nur, weil ich die Streichhölzer nicht gleich finden konnte. War genug Öl in der Lampe? – Alles in Ordnung.
    Plötzlich fiel mir ein, daß ich vergessen hatte, Moloch aus der Küche herauszulassen, und daß er dort über die Vorräte geraten würde. Ich schlich wieder hinüber. Bevor ich die Klinke niederdrückte, hörte ich selbst zum erstenmal seinen hohlen Gesang, die Miniaturform des Gebrülls seiner großen Verwandten. Es war wie leises Heulen des Windes im Kamin: kläglich und gierig. Dann kam ein Laut, wie wenn man mit einer Stahlbürste über ein Sieb fährt: das war sein Schnarchen der Befriedigung, seine neue Art von Schnurren. Ich öffnete leise die Tür: flugs hielt er inne und wandte mir die flüssigen Phosphorbälle seiner Augen zu. Auf seinem Gesicht stand in einer Gloriole von starren Bartgrannen das ekstatische Grinsen des Genießens. An seinem einen Raffzahn hing ein Fetzen langgezogenen Specks.
    Ich vertrieb ihn; noch hatte er nicht viel Unheil angerichtet. Ich schnitt ihm das angefressene Stück reinlich herunter und ließ die Tür offen mit der stummen Einladung, uns Gesellschaft zu leisten. Ich hörte ihn noch zungenschlappend trinken; dann trat er im schwarzen Viereck der offenen Schlafzimmertür in Erscheinung und wandelte seinem gewohnten Platz am Ofen zu. Unterwegs machte er mehrfach versonnen Station, ganz unmotiviert, und blickte sich um. Einmal formte er sogar einen Buckel; doch hier kann ich mich täuschen.
    Als er saß, blickte er zu uns hinüber. Plötzlich. ich wußte nicht warum (vielleicht gemahnten seine Augen mich daran), fiel mir die Sonettzeile ein:
    »... a jewel, hung in ghastly night...«
    Das ganze Sonett gebar sich aus meinem Gedächtnis, und ich betrachtete Marlies dabei. Ich kleidete sie in Gedanken in Hosen mit weinroten Knierosetten; ich zog ihr einen Kittel an . . . Alles aus zartgrauer Seide, in der Farbe der toten Frühe (wenn noch nicht einmal eine Ahnung des roten Lichtes besteht und die Sterne zu kalten Fremdkörpern werden). An den Hals legte ich ihr einen durchbrochenen Fallkragen; so bohrte ihr Kopf mit den kurzen Locken das schmale Kinn in den Ausschnitt, so daß ihr Gesicht ganz im Schatten verschwand.
    »... makes black night beauteous and her old face new...«
    Ich verweile bei diesem

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