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Die magische Laterne des Herrn Zinkeisen

Titel: Die magische Laterne des Herrn Zinkeisen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willy Seidel
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Schrei fassungsloser Überraschung und eilte zurück. Sie saß aufrecht und staunte in jedes Miniaturzimmerchen hinein.
    »Mark,« jubelte sie (ihre Wangen waren leicht gerötet, ihre Augen klar), »du bist ein wundervoller Kerl! Laß dich küssen! Wo hast du denn diese herrliche Gesellschaft aufgetrieben?«
    »Wo ich sie herhabe, ist einerlei. – Sie gehören dir. – Sie können sprechen.«
    » Sprechen!! «
    »Ja; aufgezogen sind sie schon. – Sie haben kleine Knöpfe am Scheitel, auf die mußt du drücken. – Setze sie hier im ersten Stock um den Teetisch; in ›bunter‹ Reihe! – So gehört es sich.«
    Ihre Finger waren längst geschäftig. Sie zupfte den General zurecht, so daß die Uniform hübsch spannte. An seiner kantig vorgewölbten Brust saßen zwölf Orden. Die Kniegelenke machten einige Schwierigkeit, sich rechtwinklig zu biegen; doch endlich saß er zur Zufriedenheit, die Hand am weißen Schnurrbart. Zwar sackte er dadurch, daß die Beine sich selbsttätig wieder streckten, etwas ins Sofa; – aber Marlies fand die neue Haltung leger und bekömmlich. Neben ihn kam das »ältere Fräulein«, die Gouvernante offenbar, die ihrerseits ein äußerst steifes Kreuz beibehielt. Neben ihr saßen Zwillinge, Knabe und Mädchen, im Kieler Anzug und kurzem Gazeröckchen. Dann kamen Hausherr und Hausfrau, ein schönes, korrektes, schwarzäugiges Paar (er Frack mit Backenbart, sie bezaubernd modelliertes Dekolleté zu atemraubend getürmtem Chignon). An ihrer Seite rekelte sich ein Individuum von zweifellos unbürgerlicher Herkunft mit grünlichem, verschlissenem Bratenrock und struppigen, langen Haaren, ein geistiger Arbeiter offenbar; ihm folgten ein Kommerzienrat im Cutaway mit karierten Hosen und ein Hakenkreuzler mit Käppi, in handlichem Khakigrün zu Wickelgamaschen.
Last not least
kamen Stubenmädchen und Diener. Der Diener war besonders schön betreßt und galloniert. Diese beiden letzteren wurden an Tür und Serviertischchen gelehnt. – Der Situation nach war der Tee nun ausgeschenkt und man erging sich in höflicher Rede und Gegenrede.
    Marlies drückte nun geschwind auf die Scheitelknöpfe, und die Figuren begannen innerlich zu schnurren, der Reihenfolge nach. Der General zitterte mit der behandschuhten Rechten am Schnurrbart, rollte die Augen und quakte tief: »Kolossal, kolossal!« – Das Fräulein öffnete ihren Rosenmund, ein lackrotes kleines Loch, und piepste: »Bitte sehr, bitte sehr!« – Die Zwillinge quietschten in verschiedenen Stimmlagen ohne Artikulierung wie die Jahrmarktsschweinchen und fuhrwerkten mit den Beinen auf und nieder, so daß der Tisch schwankte wie in Seenot. – Das Gastgeberpärchen verbeugte sich unablässig, gab eine innere kleine Spieldosenmelodie zum besten (hier war die Gleichzeitigkeit der Beanspruchung sehr wichtig) und klatschte sich selbst dabei hölzernen Beifall. – Der Kommerzienrat wedelte mit den Handtellern, wiegte den Kopf und äußerte blechern: »No was denn, no was denn.« – Eilig plapperte sein Gegenspieler, der Kleine mit den Wickelgamaschen: »Saujud, Saujud!« – Was die Dienerschaft endlich anlangte, so fielen sie einfach quer in den Raum hinein und zuckten wie vergiftet am Boden. Marlies bemühte sich schleunigst um ihre Stabilisierung; die Geräusche, die sie von sich gaben, standen in ihrer lauten Schärfe im Kontrast zur Demut ihres Inhalts. Sie schrien nämlich durchdringend beide: »Tee gefällig? Tee gefällig?«
    Als diese Meinungsäußerungen, die nacheinander wohl drei Minuten dauerten, abgelaufen waren, herrschte wieder Schweigen. Die Uhrfedern waren erlahmt. Der Unterschied war aber nun der, daß die Herrschaften ihre Haltung geändert hatten. Glotzten sie zuerst liebenswürdig mit parallelen Profilen ins Leere, so hielten sie am Schluß die Gesichter einander zugedreht, und es bildeten sich sozusagen wechselnde Zugehörigkeiten. Das ältere Fräulein war der bartzwirbelnden Bewegung des Generals zu nahe gekommen, hatte einen Nasenstüber erwischt und war auf den Knaben geflogen, der sie mit erhobenem Bein in Schwebe hielt. Die Gastgeber saßen tief über den Tisch gebeugt, als ob ihnen übel sei. Der Hitler-Mann hatte einen steifen Nacken und saß wie aus Stahl; er war der einzige, der sich gleichblieb. Dahingegen waren der Börsenmagnat und das kleine Mädchen in seltsamer Gruppe erstarrt . . .
    Marlies war überglücklich. Sie vertauschte die Personen; es ergaben sich entzückende, wenn auch zuweilen gewissermaßen

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