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Die magische Laterne des Herrn Zinkeisen

Titel: Die magische Laterne des Herrn Zinkeisen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willy Seidel
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peinliche Komplikationen. Ich muß zugeben, daß auch ich fast zum Kind darüber wurde und einen Narren an den Puppen fraß. Die zartlackierten Köpfe waren überraschend witzig und feinfühlig modelliert, mit aufgeklebten Haaren. Wir untersuchten die Leutchen nun auch genauer und machten »Leibesvisitationen« nach Uhrketten, Taschentüchern, Brieftaschen . . . Unser Staunen über die Treue der Details fand kein Ende. Bis zum letzten Hemdenknopf waren sie möglich . Doch jetzt sagte ich: »Es ist eine offizielle Einladung, Marlies. Du siehst, es stehen auch nur vier Betten im Haus; für Eltern und Kinder. Wir dürfen die Gäste also nicht voreinander in Verlegenheit stürzen.« – »Gut,« sagte Marlies, »wir wollen artig sein; sie sind es ja auch. – Bis auf den kleinen Grünen. Warum schimpft er so auf den netten Onkel? – Der hat doch so ein drolliges Gesicht, genau wie die Papageien auf unserer Tapete . . .« – »Er denkt sich nichts Positives«, beruhigte ich sie. »Er sagt das nur so hin . . .« – »Er muß dumm sein«, beharrte Marlies und setzte den Soldaten neben den General. »Hier darf er nicht plappern; hier muß er sich gut benehmen.« – »Es steht dir überhaupt frei,« schlug ich vor, »die Tischordnung zu ändern.« – Bei der nächsten Vorstellung erhob sich gemeinsames Stimmengewirr, da wir sie zusammen losplaudern ließen. Nur der Grüne, dies
Enfant terrible,
klappte nach, geriet mit seinem Gezeter in peinliches Schweigen und erhielt Stubenarrest in der Besenkammer. – Ich kann Ihnen versichern, meine Herren, wir amüsierten uns köstlich. Die Sonne schien herein; ich lachte Tränen; buchstäblich . . . Ich lachte, und meine Seele weinte. Wurde sie gesund?
    Ihre holde Freude war nur Strohfeuer; letztes Aufflackern. Wissen Sie, es fällt mir jetzt nicht schwer, davon zu reden; es ist tief historisch für mich und deshalb abgetan . . . Es waren aber Augenblicke, in denen ich das Zahnrad des Fürchterlichen, dessen Zinken von Herzblut tropften, über mich weggehen fühlte. – Als ich ihr gegen drei Uhr das Mittagessen brachte, war sie blässer und starrte über das Dach des Puppenhauses hinüber in das letzte spätherbstliche Blau. Sie wollte nichts essen; ich gab ihr Tee. Darauf schlief sie, und während ihres Schlafes prüfte ich mehrmals ihren Puls. Mit Injektionsspritzen verstand ich nicht umzugehen; so ließ ich Ihren schon mehrfach erwähnten Kollegen, Doktor Pinswang (den Mann mit der Steckenpferd-Diagnose) wieder kommen, und er spritzte ihr eine Mischung von herzstärkenden Mitteln ein.
    Ich raste und wütete gegen die unfaßliche Gewalt an, die sie ständig schwächte; gegen das Unsichtbare, das ihre Lebenskraft vor meinen Augen aufsog wie Löschpapier. »Marlies,« sagte ich, flüsterte ich langsam und machte große, willensbeladene Worte daraus (so voll von Willensverzückung, wie Leydener Kugeln von knisternder Kraft), »Marlies, bleib' bei mir!! – Werde gesund! Lache wieder!« – Nein, sie steckte ihr spitzes Näschen in die Luft, es war eine ernste Sachlichkeit, mit der sie zum Scheiden rüstete. Auf das übergroße Entzücken folgte ein Schwächeanfall, der sie ins andere Extrem sinken ließ. Das Blau im Fenster verlor sein Funkeln und vertiefte sich zu sattem Samt.
    Der Kater jaulte wie aus weiter Ferne. Er war hungrig. Ich rührte mich nicht.
    Als es sechs Uhr war und tiefe Dämmerung das Zimmer füllte, war mir, als müsse ich sie wecken, sonst entgleite sie mir ohne Abschiedswort. Ich knipste die Doppelbatterie unter dem Boden des Puppenhauses an und fügte die Vorderfront des Hauses ein. Aus sämtlichen Fensterchen strahlte helles Licht. Ich dachte ihr damit eine letzte Freude zu machen, auf daß ihre letzten Gedanken lächeln sollten.
    Das Licht fiel über das Plumeau bis zu ihrem Kinn. Ich hob ihren Kopf sachte in die Höhe und schichtete die Kissen hinter ihrem Rücken auf. Das Licht kroch ihr ins Gesicht, und ich sah auf einmal ihre starr glitzernden, weit offenen Augen.
    »Marlies«, stöhnte ich. »Ist das nicht hübsch?«
    Ihre Antwort kam stoßweise; sie lächelte.
    »Reizend, Mark. – Sind sie noch beim Tee?«
    »Ja. Liebste – Es ist die Ewige Teegesellschaft . . .« sagte ich sinnlos.
    »Ewig . . . Das ist schön.«
    »Marlies! Bleib' bei mir! Verlaß mich nicht!!«
    »Mark,« sagte sie auf einmal ziemlich flüssig, »denkst du wirklich, mein Lieber, ich würde dich verlassen, ja? Denkst du das wirklich?«
    »Wo soll ich dich

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