Die magische Laterne des Herrn Zinkeisen
wiederfinden, wenn du's tust?«
Sie beugte sich leicht vor und schaute so lange in die Fensterchen hinein, daß ich sie sanft schüttelte. Da fuhr sie zusammen wie unter einem Frost.
»Wir beide wollen uns hier drinnen treffen«, sagte sie mit dem letzten Schatten eines Lächelns. »Such' mich hier . . . bei der Ewigen . . . Teegesellschaft . . . da treffen wir uns, ja? . . . Ich kann dir vielleicht allerhand erklären, wenn du dort deine . . . Visite machst . . . Für mich ist's ein kleiner Übergang . . . Sei ruhig, Mark. Du wirst mich spüren. Nun mach bitte . . . das Licht . . . aus . . .«
Sie legte sich zurück. Ich drehte die Batterie aus, es war fast dunkel im Zimmer. Ich setzte mich auf den Stuhl neben das Bett; ich wartete. Und plötzlich kam mir zu Bewußtsein, daß ihr schneller, leichter Atem – nicht mehr da war. Gleichzeitig traf mich ein eiskalter Luftzug, wie vom Teppich her. Ich wollte es nicht glauben und stürzte zur Lampe; ich hörte hinter mir, daß das Bett in allen Fugen krachte.
»Sie lebt doch noch!« dachte ich wirr und steckte die Lampe mit zitternden Fingern an. »Sie hat sich doch eben noch heftig bewegt! Wie hätte sonst das Bett so krachen können!«
Doch als ich hinüberleuchtete, lag sie da, offenen Auges und tot. Und mir war, als höre ich das Zuschmettern einer Tür – – auf einer anderen Ebene.
Der Spuk beginnt
Meine Herren, ersparen Sie mir, die nächsten Stunden zu schildern. Es war ein erneutes Ringen um Glauben . Aber ich beschwor mir mit aller Energie herauf, was nach dem Tode von Marliesens Mutter erfolgt war. Dieselbe Bereitschaft mußte ich in mir erzeugen wie damals. Keines ihrer letzten Worte durfte vergessen werden. Sie hatte gesagt: »Ich bleibe bei dir«, und: »Du findest mich wieder.« Der Durchbruch durch alle Zweifel: die wundervolle Leuchtrakete der Überzeugung überschwemmte die dunklen Regionen, in die ich einen Vorstoß plante, mit Licht.
Sie war da, und daß jenes Etwas, das sie im Bett dort zurückließ, nur vergänglich geprägter Umriß, bröckelnde Hohlform war, die gar nichts mehr mit ihr selbst zu tun hatte, wurde mir nun durch einen unnennbar schauderhaften Zufall klar.
Sie erinnern sich, daß ich Ihnen erzählte: Moloch war hungrig . . . Wie er ins Zimmer eindrang, ist mir nicht ganz klar. Kurz, ich erwischte ihn, wie er drauf und dran war, sich an der Leiche gütlich tun zu wollen . . . Muß ich das aussprechen! Ich packte ihn, kalt vor Entsetzen, und schleuderte ihn in weitem Bogen aus dem offenen Fenster. Meine Hand hatte sich wie eine Zange um seinen Hals gelegt. Er schlug leblos drunten auf; ich glaubte ihn endgültig los zu sein. Vorläufig kam er nicht wieder und ich vergaß ihn. (Doch es heißt, daß Katzen eine Mißhandlung nicht vergessen.)
Als Marlies begraben war, wurde mein Urlaub vom Chef aus in entgegenkommendster Weise ausgedehnt. Ich hatte Anfälle von tödlichster Einsamkeit, und hier, sehen Sie, zeigte es sich, daß die »soziale Bestie« meine vierzehnjährige Mißachtung keineswegs übersehen hatte; sie wandte mir mit großer Gebärde ihre kühle Rückseite zu. Der als Sonderling Gebrandmarkte würde schon (dies schien es mir zu bedeuten) einen Modus finden, um mit seinen privaten Stimmungen fertig zu werden. Etwas schales Mitleid bekam ich zu kosten, ein wenig spekulierende Kondolenz – und dann glitt man wieder zurück in die Beobachterrolle. Das war das Verhalten der »Welt«, und eigentlich hatte ich keinen Grund, auch keine Berechtigung, darüber erstaunt zu sein. Im geheimen bereitete sich ja auch etwas in mir vor.
Man kennt das Summen des Orchesters vor Beginn der strahlenden Oper . . . Kennt das atemlos geschäftige Treiben für eine kommende große Festlichkeit: ja, so war meine Stimmung vor diesem nahen Wiedersehen mit Marlies nach ihrer »vorübergehenden Verhinderung« auf der anderen Seite des »Übergangs«. Glauben Sie nun nicht, daß ich irgendwelche Magie getrieben hätte, an der Ihr schaler wissenschaftlicher Witz ein billiges Mütchen kühlen könnte. Nein! Alles, was ich tat, war folgendes: ich hungerte. Vielmehr aß ich nur das Allernötigste, das die vitalen Funktionen verbürgt. Ich zog abends die Rolläden vor die Fenster und die Vorhänge vor, sperrte den Tag so lang als möglich hinaus. Dies tat ich in der ganzen Wohnung und ließ alle Türen gewissermaßen einladend offenstehen; ebenso das kleine Fenster in der Besenkammer. Dann schaffte ich
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