Die magische Laterne des Herrn Zinkeisen
Marliesens Bett aus dem Zimmer hinaus, so daß nur noch mein eigenes darin stand, das ich in die Mitte rückte. Vor das Bett stellte ich einen breiten eichenen Tisch und in dessen Mitte das Puppenhaus.
Ich hatte mir berechnet, daß die Batterie, da sie so gut wie neu war, Brennvermögen für eine ganze Woche besitzen mußte. So konnte ich mich auf das beleuchtete Haus konzentrieren, ohne befürchten zu müssen, daß das Licht darin erlösche.
– – – Es war am vierten Abend, als ich zum erstenmal ihren Versuch spürte, sich bemerkbar zu machen.
Ich atmete tief, als jenes Knistern begann: im Korridor – dann im Salon – dann im Zimmer selbst – mit dem rapiden Sinken der Temperatur vom Teppich her. Es war verdammt ungemütlich, dies so objektiv zu erleben.
Doch ich sagte mir immer wieder: es ist ja Marlies; es ist ja eine freundliche Intelligenz. Sie will ja nur Vereinigung mit mir. – Vorläufig blieb es beim Knistern. Ich schlief am Schluß traumlos ein.
An den kommenden Abenden geschah folgendes: Ich hatte die Lampe noch brennen. Da geschah in der Ecke, wo ihr Bett gestanden , ein Knall wie ein Pistolenschuß, gefolgt von einem Geräusch, als drehe jemand sich auf der Matratze um. Ich hörte das leise Anklingen der Matratzenspiralen und ein Rauschen von Bettüchern.
Die Ecke war leer und hinlänglich bestrahlt, so daß ich jeden kleinen Papagei auf der Tapete bis zur Decke hinauf verfolgen konnte. Aha, dachte ich, die Kraft wächst. Mein Puls hatte ausgesetzt; nun schlug er wild. Zehn Minuten Stille. Dann geschah dicht vor mir klares, deutliches Klopfen im Holz des Tisches. Jetzt erschrak ich nicht mehr. Es war keine irre Manifestierung. Es war ein bewußter Versuch zur Verständigung; es heimelte mich gleichsam an.
»Bist du das, Marlies?« fragte ich laut. Meine Worte hallten laut und versickerten in der leeren Wohnung.
Ein lauter, kurzer Krach im Tisch geschah. – »Sie ist es!« dachte ich. Ich nannte die Buchstaben des Alphabetes, sobald das Klopfen sich wieder rührte, und hatte nach einiger Zeit die klare Botschaft, »Lampe aus.«
Ich erhob mich und befolgte ihre Anweisung. Die Batterie des Puppenhauses drehte ich an und starrte hinein. Mein Blick verfing sich zunächst in einem Spiegelchen, das einen winzigen Kronleuchter im Parterre reflektierte. Es war eine Art Kristallsehen. Manchmal war mir's, als gleite eine Verdunkelung über das Gesichtsfeld. Wie unter einem Zwang drehten sich meine Pupillen langsam empor.
Ich sah mitten in die Gesellschaft hinein, die im ersten Stock um den Tisch versammelt saß. Zunächst sah ich sie nur im Ausschnitt des Fensters – dann aber schien mir, als sei ich mitten unter ihnen. Wenigstens konnte ich allmählich das Zimmer rundherum von innen deutlich überblicken. Teufel ja. – Zuerst war es eine tolle Sensation – ich machte buchstäblich meine Visite .
»Wie bin ich eigentlich hineingekommen?« dachte ich und faßte mir an den Kopf. »Vermutlich durch das Fenster; jawohl . . .« Zugleich wurde mir der Gedanke an das Fenster schauderhaft peinlich. Abgewandten Gesichtes zog ich die Vorhänge vor – pfirsichfarbene Seidenvorhänge. Zusehends fühlte ich mich gemütlicher und zu allerhand Scherzen aufgelegt.
Ist etwas noch so fein gefertigt: unter der Lupe enthüllt es doch geheime Fehler. Und da ich nun gewissermaßen den »Röntgenblick« hatte, so boten die Herrschaften allerhand Überraschungen. Bis jetzt waren sie wie in einem umgekehrten Opernglas sichtbar gewesen. Ich nahm Platz auf einem Rokokostuhl, giftblau bezogen – eine durchaus rohe Attrappenarbeit, wie ich jetzt bemerkte –, und wartete. Die steifen Puppen warteten ebenfalls. Weiß Gott, es war eine erwartungsschwangere Atmosphäre. Der General war der einzige, der mir ins Gesicht blickte; es kam mir jetzt vor, als trage er einen erstaunten Ausdruck. Ich drehte ihn nach der Tür zu; er irritierte mich. – Endlich ging unten die Haustür. Es quietschte leise. Und dann hörte ich auf der Treppe, die seitlich an den Zimmern hinaufführte, leise Schritte, wie wenn Tropfen fallen . . . Oder war's nur mein Puls, der mir im Ohr sang?
Nein. Ich täuschte mich nicht. – Es war Marlies.
Es war, als sei sie ihrer Mutter ähnlicher geworden. Das Bild ihrer Mutter verschwamm jedenfalls mit dem ihren, als habe man zwei sich sehr ähnliche Gesichter übereinanderphotographiert. Dies war mein erster und letzter Eindruck von ihr, und es erstaunte mich nicht im geringsten. Sie ging ganz
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