Die Magistra
plötzlich fiel ihr auch wieder ein, wo dies gewesen war.
16. Kapitel
»Und Ihr seid Euch wirklich ganz sicher, daß Ihr die Frau wiedererkannt habt?«
Bernardi lief unruhig in der kleinen Kammer auf und ab, in die man ihn gesperrt hatte. Seine Stimme klang ein wenig rauh, vermutlich war er erkältet. Seine Augenlider zuckten nervös. Ansonsten schien ihm der Arrest wenig auszumachen. Katharina hatte den einstigen Günstling ihres Gatten in eine spärlich eingerichtete, jedoch saubere Stube im zweiten Geschoß des Ostflügels bringen lassen. Dreimal am Tag erhielt er warme Mahlzeiten aus der Küche. Ein ältlicher Wächter, dessen Dienste an den Toren nicht mehr benötigt wurden, bewachte die Tür. Die Nichte der Hausherrin hatte der Mann eingelassen, ohne Fragen zu stellen.
Philippa hockte auf dem einzigen Schemel, den es in der Stube gab. Bernardis Nervosität irritierte sie, und auf einmal fragte sie sich, ob es nicht ein Fehler gewesen war, den verdächtigten Magister aufzusuchen. Schließlich gab sie sich einen Ruck und beantwortete seine Frage: »Ich irre mich nicht, Bernardi. Es war dieselbe Frau, die in der Hütte der Barle ihr Kind zur Welt gebracht hat, um es später den Fahrenden zu verkaufen. Ich bin ihr sogar bis zum Kirchplatz gefolgt, wo sie plötzlich in einem vornehmen Patrizierhaus verschwand. Allerdings glaube ich nicht, daß sie in diesem Haus wohnt, denn meine Tante behauptet, es gehöre dem Stadtmedicus, und der ist nicht verheiratet. Für eine Dienstmagd war die Kleidung der Frau jedoch zu edel.« Seufzend schüttelte sie den Kopf. »Wenn ich nur wüßte, was dies alles zu bedeuten hat. Die Barle hat mit diesem Weib gemeinsame Sache gemacht. Sie hat das Schachergeschäft in die Wege geleitet und …«
»… ist somit eine gefährliche Mitwisserin geworden«, ergänzte Bernardi. Er hob ein wenig gönnerhaft die Augenbrauen. »Die alte Hebamme hätte die Schwangere schließlich immer noch den Behörden anzeigen können, um ihre eigene Haut zu retten. Nun ist sie tot und kann den Mund nicht mehr aufmachen. Allerdings muß die Kindsmutter befürchten, daß es noch einen weiteren Menschen in der Stadt gibt, der ihr Geheimnis kennt. Seid Ihr denn wirklich sicher, daß sie Euch vor dem Zunfthaus nicht wiedererkannt hat?«
Philippa stand auf und trat ans Fenster. Die zierlichen, runden Butzenscheiben waren beschlagen. Mit einem Zipfel ihres Ärmels rieb sie über das Glas. Von diesem Fenster aus konnte man bis zum Ufer der Elbe blicken. Sie erspähte einige Kinder, die den Damm hinunter tobten, um das Beladen eines Lastkahns zu verfolgen. Vor wenigen Tagen erst hatte die Gilde der Kaufmannschaft das während der Wintermonate geltende Verbot der Flußschiffahrt zurückgenommen.
Bernardi stellte sich dicht hinter sie. Die Wärme, die von seinem Körper ausströmte, tat ihr gut. Wie es wohl wäre, wenn er seine Arme um sie legte? Philippa atmete aus und machte einen Schritt zur Seite. »Ich glaube nicht, daß sie mich erkannt hat«, erklärte sie. »Schließlich trug ich wegen der Kälte zwei Mäntel und einen Schleier, der mein Gesicht verdeckte.«
»Und was wollt Ihr nun mit Eurem Wissen anfangen? Den Stadthauptmann benachrichtigen?« Die letzten Worte sprach Bernardi mit unverhohlenem Zorn aus. Ehe Philippa antworten konnte, klopfte es an der Tür. Eine Magd brachte das Abendessen, das aus Roggenbrot, einem Stück dampfendem Hammelfleisch und einer Handvoll eingelegter Pastinaken bestand. Philippas Anwesenheit quittierte die Frau lediglich mit einem unverbindlichen Lächeln. Dann verließ sie eilig die Stube.
»Ich habe einen schweren Fehler begangen.« Bernardi blickte bekümmert auf das wenig appetitlich aussehende Essen. »Ich hätte meine Herkunft Katharina gegenüber nicht verschweigen dürfen. Für sie als ehemalige Nonne ist Aufrichtigkeit gleichbedeutend mit Gottesfurcht. In ihren Augen kann ich doch nichts anderes mehr als Lügner und Ketzer in einer Person sein.«
»Meine Tante ist gekränkt«, gab Philippa zu, »aber sie hat Euch nicht ausgeliefert. In ihrem Herzen glaubt sie nicht an Eure Schuld. Sie kann nur nicht verstehen, warum Ihr kein Vertrauen zu ihr und meinem Onkel aufbringen konntet. Ehrlich gesagt, ich verstehe es auch nicht.«
Bernardi lächelte gequält. Sein schmales Gesicht nahm wieder jene melancholischen Züge an, die Philippa bereits am ersten Tag ihrer Bekanntschaft aufgefallen waren.
»Ihr würdet meine Haltung verstehen, wenn Ihr wüßtet, wie es um die
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