Die Magistra
Juden im Heiligen Römischen Reich bestellt ist.« Er nahm ein Stück Brot von dem Tonteller und zerbrach es in viele kleine Stücke. »In den letzten fünfzig Jahren wurden meine ehemaligen Glaubensbrüder aus nahezu allen Ländern Europas und vielen Gebieten des Reichs vertrieben. Den Anfang machte Spanien. Vielleicht habt Ihr von der Eroberung des maurischen Granada gehört? Die christlichen Könige Kastiliens und Aragons nutzten die Gelegenheit, sich mit den Mauren auch gleich der Juden zu entledigen.«
»Ich weiß, was es bedeutet, seine Heimat verlassen zu müssen«, sagte Philippa mitfühlend. »Es tut weh und weckt Gefühle des Verlusts, die denen beim Tod eines geliebten Menschen nahekommen. Dazu gesellen sich Ärger und Verbitterung über die eigene Hilflosigkeit. Glaubt mir, Bernardi, es vergeht kaum ein Tag, ohne daß ich mir die Frage stelle, ob ich Abekkes Intrige nicht hätte aufhalten können. Vielleicht, wenn ich mich mehr für die Bewirtschaftung des Gutes interessiert hätte … Doch verzeiht! Ich hatte nicht vor, Euch zu unterbrechen!«
»Viele Juden suchen in diesen unsicheren Zeiten nach einem Licht der Hoffnung, einem Messias, der sie in ein Land führen soll, in dem sie frei von Unterdrückung und Verfolgung leben können. Ich weiß nicht viel über meinen Vater, schließlich habe ich ihn kaum gekannt. Unmittelbar nach meiner Geburt und dem Tod meiner Mutter gab er mich in die Obhut jüdischer Freunde in Regensburg. Erst Jahre später, nachdem ich mich längst den Lehren der Reformation angeschlossen und mein Studium in Wittenberg aufgenommen hatte, hörte ich, daß er im Auftrag eines arabischen Fürsten nach Rom gezogen war, um mit Papst Clemens VIII. wegen der Aufstellung eines jüdischen Heeres zu verhandeln. Angeblich hatte er vor, das Heilige Land zu erobern.«
»Das hat Eidgraf Wolfger bereits angedeutet«, bestätigte Philippa. »Aber ließ sich denn der Papst von diesen wagemutigen Plänen beeindrucken?«
»Zumindest bereitete er meinem Vater einen Empfang, der selbst dem Kaiser geschmeichelt hätte. Im Lateranpalast wurde ein glanzvolles Fest gefeiert. Man erzählt, daß auf dessen Höhepunkt achttausend weiße Tauben mit goldenen Bändern in den Himmel gesandt wurden, um die Botschaft von der nahen Befreiung des Heiligen Landes in die ganze Welt zu tragen. Nachdem die erste Begeisterung sich gelegt hatte, mußten die Römer jedoch zugeben, daß es nicht so einfach war, ein Projekt diesen Ausmaßes in die Tat umzusetzen. Die päpstlichen Kassen waren leer, die Reformation Eures Onkels befand sich auf dem Vormarsch, und zu allem Überfluß fielen auch noch die Truppen des Kaisers plündernd in Italien ein!« Bernardi blickte Philippa an. »Solltet Ihr Euch nicht längst im Schloß zurückgemeldet haben?«
Philippa winkte müde ab. Die Kurfürstin hatte ihr zu verstehen gegeben, daß sie vor der Rückkehr ihres Gemahls keine Verwendung für sie hatte.
»Mein Vater zog nach Portugal«, fuhr Bernardi mit seiner Erzählung fort. »Dort setzten die Marranen, jüdische Konvertiten, die in Spanien von der Inquisition verfolgt wurden, große Hoffnungen in seine Pläne. Selbst der König schien nicht abgeneigt zu sein, sich mit meinem Vater zu befassen, denn er war vor allem an neuen Handelswegen und Stützpunkten auf der arabischen Halbinsel interessiert, um auf dem Seeweg gefahrlos Zimt, Pfeffer, Ingwer und Seide nach Portugal einzuführen …«
»Laßt mich raten«, unterbrach ihn Philippa. »Als der König erfuhr, was es kostet, eine Flotte auszurüsten, machte er einen Rückzieher, und Euer Vater mußte das Land verlassen, um sich nach neuen Verbündeten umzusehen!«
»Viel schlimmer! Die Verbündeten sahen sich nach ihm um! Eines Tages klopfte ein Marrane namens Molcho an seine Tür. Dieser Molcho verfügte nicht nur über ein unerhörtes Selbstbewußtsein, er hatte auch politische Verbindungen bis in die höchsten Adelskreise. Es gelang ihm, einige wohlhabende Kaufleute zu überreden, ihn und meinen Vater finanziell zu unterstützen. Sogar von der Errichtung eines jüdischen Königreichs und vom Wiederaufbau des Tempels zu Jerusalem war damals die Rede, ein Plan, der den verfolgten spanischen und portugiesischen Marranen süß wie Honig in den Ohren klang. Mit der Zeit wurden Molchos Forderungen jedoch immer gewagter, er ließ sich als Propheten und Wegbereiter des Messias feiern und warf mit dem Geld seiner Gönner um sich. Zuletzt trat er so unverschämt auf, daß die
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