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Die Magistra

Die Magistra

Titel: Die Magistra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guido Dieckmann
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erhob. »Ich danke Euch für Eure Offenheit, Bernardi. Ich fürchte nur, unsere Hebräischstunden werden einige Tage warten müssen. Tante Katharina braucht frische Sämereien für ihre Äcker, und ich konnte sie überreden, die Händler in diesem Jahr mit mir gemeinsam aufzusuchen. Nach den Aufregungen der vergangenen Wochen sollte ihr diese kleine Ablenkung guttun.« Sie ging zur Tür und klopfte dreimal gegen den Rahmen.
    Bernardi legte die Stirn in Falten. »Ihr führt doch etwas im Schilde, Philippa! Was habt ihr vor?«
    Philippa lächelte. »Nun, die besten Sämereien für Rettiche gibt's in den Dörfern um Erfurt und Magdeburg. Zufälligerweise stammte auch Maria Lepper aus dieser Gegend!«
    ***
    Bereits am nächsten Morgen machten sie sich auf den Weg. Philippa verspürte leise Gewissensbisse, weil sie ihre Schülerinnen schon wieder der Aufsicht eines der Mädchen überließ, doch hatte sie den Kindern beim gemeinsamen morgendlichen Kirchgang erklärt, daß ihre Reise wichtig und unaufschiebbar war. Zumindest hatte sie den Mädchen genau erklärt, welche Schreibübungen und Rechenexempeln sie während ihrer Abwesenheit erledigen sollten.
    Katharina hatte für sich und ihre Nichte zwei prächtige Pferde aus dem Stall führen und satteln lassen. Den Wagen für das Saatgut sollte Valentin Schuhbrügg lenken. Zuletzt schlossen sich einige Studenten, unter ihnen auch der junge Johannes Luther, dem Wagenzug an. Sie beabsichtigten, ihre Studien in Magdeburg fortzusetzen und freuten sich darüber, ein Stück des Wegs auf Valentins Fuhrwerk zurückzulegen. Philippa atmete erleichtert auf, als Katharina ihren Knecht wortkarg anwies, für vier weitere Sitzplätze zu sorgen. Insgeheim hatte sie befürchtet, ihrer Tante könnte die Begleitung der jungen Scholaren unangenehm sein. Während der Wintermonate, die ihr Sohn in Wittenberg verbracht hatte, waren sie und sein Vater strenger zu dem Jungen gewesen als zu irgendeinem anderen der Burschen. »Ich kann dem Jungen keine Bequemlichkeiten einräumen, die ich seinen Kameraden versagen muß«, war Katharinas einziger Kommentar gewesen, als Philippa sie einmal darauf angesprochen hatte. »Johannes ist Luthers Sohn, und er wird erwachsen. Die Steine, die seinen Weg behindern, werden von Tag zu Tag größer, und weder sein Vater noch ich können immer zur Stelle sein, um sie ihm fortzuräumen. Gewiß schmerzt es mich, meine Kinder in die Fremde zu schicken, aber wenn sie in ihrer Jugend nicht lernen, in Demut und Gottesfurcht ihr Leben in die eigene Hand zu nehmen, so werden sie in diesen unruhigen Zeiten kaum bestehen können!«
    Die Lutherin führte ihr Pferd eigenhändig zum Tor, wo der Schreiber Lupian bereits mit Papier und Schreibfeder auf sie wartete, um ihre Anweisungen Haus und Hof betreffend aufzuschreiben. Als der kahlköpfige Mann Philippa erblickte, zwinkerte er ihr vergnügt zu. »Ihr tut gut daran, Eure verehrte Tante zu begleiten. Der Tod Eurer unglückseligen Magd muß Euch sehr getroffen haben!«
    »Ich sah in ihr mehr eine Freundin als eine Magd, Meister Lupian.«
    Der Schreiber wurde plötzlich ernst. Gedankenverloren tätschelte er die Mähne von Philippas Stute. »Wenn ein guter Freund von uns geht, so verlieren wir auch immer einen Teil von uns selbst. Doch, glaubt mir, ein Verlust kann uns zuweilen unerwarteten Reichtum bescheren, denn wir lernen diejenigen zu schätzen, die uns auf unserem Pilgerzug durchs Leben erhalten bleiben.«
    Hastig rollte Lupian sein Papier zusammen, nickte Philippa und seiner Herrin zu und kehrte mit schweren Schritten zum Haus zurück.
    »Er wird wunderlich auf seine alten Tage«, bemerkte Katharina, während Valentin ihr beim Aufsteigen behilflich war. »Früher interessierten ihn nur Fakten, Verträge und Rechnungsprotokolle. Aber laßt uns endlich aufbrechen. Ich möchte nicht gleich die erstbeste Herberge ansteuern müssen, nur weil wir vorzeitig von der Dämmerung überrascht werden.«
    ***
    Eine halbe Stunde später hatten sie die Stadtmauern hinter sich gelassen. Am Himmel waren wieder dunkle Wolken aufgezogen. Auf dem mir feuchtem Blattwerk bedeckten Waldboden sanken die Pferde so tief in den Morast ein, daß Katharina ihrem Knecht auf dem Fuhrwerk besorgte Blicke zuwarf. Sie selbst beherrschte ihr Reitpferd mit der ihr eigenen Souveränität, während Philippa Mühe hatte, das Temperament des Rappen, den ihre Tante ihr überlassen hatte, zu bändigen. Brackige Tümpel säumten ihren Weg. Im Unterholz knisterte es.

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