Die Magistra
Inquisition auf ihn aufmerksam wurde und ihn der Ketzerei anklagte. Im Nu rückten seine Anhänger von ihm ab. Mein Vater, der ein ähnliches Schicksal fürchtete, mußte bei Nacht und Nebel aus Portugal fliehen. Er reiste in Verkleidung nach Regensburg, wo zu der Zeit ein Reichstag abgehalten wurde, um Kaiser Karl um Hilfe zu bitten. Doch man ließ ihn nicht einmal zu ihm vor. Mein Vater wurde auf Betreiben eines Dominikanermönchs unverzüglich festgenommen und in Ketten gelegt. Aus seinem Kerker schrieb er mir einen letzten Brief, in dem er mich aufforderte, Wittenberg zu verlassen, bis Gras über die Sache gewachsen sei. Ich habe nie wieder etwas von ihm gehört.«
Auf dem Korridor waren plötzlich Stimmen zu hören. Der Wächter schien mit jemandem zu reden, aber durch die schwere Tür drang nur ein dumpfes Gemurmel an Philippas Ohr. Offensichtlich versorgte die Magd ihn mit einem Becher Wein.
»Wenn die Inquisition Euren Vater verhaften ließ, so ist er wahrscheinlich gar nicht mehr am Leben«, sagte sie leise. »Die Dominikaner waren schon immer bekannt für ihre … Gründlichkeit!«
»O nein, Philippa«, widersprach Bernardi lebhaft. »Die Macht der Inquisition erstreckt sich nur auf Angehörige der Kirche, nicht jedoch auf Menschen, die niemals die heilige Taufe angenommen haben. Molcho wurde als Konvertit verurteilt und hingerichtet. Meinem Vater hingegen durfte nicht einmal der Kaiser den Prozeß als Ketzer machen. Er könnte also noch heute in irgendeinem spanischen Kerker gefangen sein!«
»Graf Wolfger scheint Eure Ansicht zu teilen«, bemerkte Philippa. »Für ihn seid Ihr ein Handlanger des Kaisers, der meinem Onkel und den Führern der Schmalkaldischen nach dem Leben trachtet.«
»Und was denkt Ihr über mich, Jungfer von Bora? Ihr glaubt doch nicht etwa auch, daß ich ein Spion bin?« Bevor Philippa ihm wiederum ausweichen konnte, beugte er sich über den Tisch und ergriff ihre Hand.
»Wenn ich so etwas annähme, würde ich gewiß nicht in aller Frühe über die Felder laufen, um nach Beweisen für Eure Unschuld an Marias Tod zu suchen!« erwiderte Philippa. Unter Bernardis sanften Blicken wurde sie zunehmend nervöser. Seine Hand fühlte sich angenehm warm an, und einen Herzschlag lang wünschte sie sich nichts sehnlicher, als die Pendel der Uhr anzuhalten, die kalte Wirklichkeit aus ihren Gedanken zu verbannen und sich den Berührungen des jungen Gelehrten hinzugeben. Doch weder Zeit noch Umstände waren günstig, um sich in Träumen zu verlieren. Brüsk befreite sie sich aus Bernardis Griff. »Allerdings habt Ihr Euch durch Eure Heimlichkeiten selbst in diese unglückliche Lage gebracht. Es sind einfach noch zu viele Fragen offen!«
»Welche Fragen?«
»Zum Beispiel die Frage, was Ihr am Abend des Gastmahls zu Ehren des Eidgrafen mit der Lepperin im Hof zu bereden hattet. Ich sah Euch zufällig vom Fenster der Schulstube aus.«
Bernardi richtete seinen Blick auf die in Blei gefaßten grünen Butzenscheiben, als vermute er hinter dem Fenster seiner Arrestkammer ebenfalls einen heimlichen Lauscher. »Erinnert Ihr Euch an das Faß, das an jenem Abend für Euren Onkel auf den Hof gefahren wurde?« fragte er nach einer ganzen Weile, ohne den Blick von den Fenstern abzuwenden.
»Der Malvasierwein? Das Geschenk des Landgrafen von Hessen? Melanchthon hat mir bestätigt, daß die Geschichte über Graf Philipps Doppelehe wahr ist. Aber …«
»Eure Gehilfin wollte von mir wissen, ob eine Frau, deren Ehemann zur selben Zeit weitere Ehen unterhalte, das Recht habe, sich in Ehren von ihm zu trennen«, unterbrach sie Bernardi. »Ihr dürft mir glauben, daß Doktor Luthers Gutachten die Lepperin ebenso verärgert hat wie Euch. Als ich ihr davon erzählte, wurde sie ganz bleich vor Zorn. Dann ließ sie mich stehen und rannte davon!«
»Daran kann ich glauben«, flüsterte Philippa nachdenklich, obschon sie nicht wußte, wie Bernardis Erklärung ihr weiterhelfen sollte. Eines schien jedoch unwiderruflich festzustehen: Der Unbekannte, vor dem Maria sich gefürchtet hatte, hatte Macht über sie besessen. Er hatte ihr nachgestellt, sie verletzt und ihr zuletzt befohlen, das Pamphlet über Luthers Ächtung an die Haustür zu heften. Doch irgendwann mußte Maria begonnen haben, sich zur Wehr zu setzen. War es ihr Einfall gewesen, ihren Verfolger zur Kreuzkapelle zu bestellen? Wollte sie ihm beibringen, daß sein Einfluß auf sie ein für allemal zu Ende war?
Philippa atmete tief durch, bevor sie sich
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