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Die Magistra

Die Magistra

Titel: Die Magistra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guido Dieckmann
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eingetragen zu werden. Wortlos ging der Mann in den angrenzenden Aktenraum und kehrte wenig später mit zwei dicken Büchern zurück, die er vor Philippa auf den Schreibtisch fallen ließ.
    Er mußte nicht lange blättern. Bereits auf der vorletzten Seite des Jahresregisters per Anno 1536 fand er den gesuchten Eintrag.
    »Eure Lepperin kam nach Maria Himmelfahrt nach Wittenberg. Drei Tage nach ihrer Ankunft wurde sie der Gemahlin unseres verehrten Herrn Doktor Luther anempfohlen, die sie in ihre Dienste nahm!«
    »Ihr sagt, sie wurde meiner Tante anempfohlen?« rief Philippa aufgeregt.
    Der Stadtschreiber schnaubte verärgert auf und spähte demonstrativ auf die nahe Turmuhr der Marienkirche. »Nicht ich sage es, sondern das Register, junge Dame. Hier steht, daß Henricus Krapp höchstpersönlich das Mädchen ins Schwarze Kloster schickte. Aber darüber hättet Ihr auch Eure Tante befragen können. Ich habe weiß Gott keine Zeit für Auskünfte dieser Art!«
    Philippa nahm ihren Umhang von der Stuhllehne und faltete ihn ordentlich über ihrem Arm. Tief in Gedanken wandte sie sich um und ging zur Tür. Plötzlich blieb sie stehen. »Ihr habt mir noch nicht gesagt, aus welchem Ort die Lepperin stammte.«
    Der Stadtschreiber seufzte wieder. »Soweit mir bekannt ist, lebte das Mädchen in Rauhfeld, einem Marktflecken unweit von Magdeburg. Sie war jedoch keine Hörige, sonst hätte man ihr gewiß keinen Geleitbrief ausgestellt.«
    Philippa bedankte sich hastig und wollte die Kanzlei verlassen, als der Schreiber ihr mit fester Stimme nachrief: »An Eurer Stelle würde ich mir keine Umstände wegen einiger Bücher und Briefe machen, Jungfer. Rauhfeld ist ein finsteres, kleines Nest. Würde mich wundern, wenn dort außer dem Pastor und dem Dorfvorsteher auch nur eine einzige Seele lesen könnte.«
    ***
    »Dieser Schreiber hätte Totengräber werden sollen«, erklärte Philippa verdrossen, als sie vor dem Rathaus wieder mit Roswitha zusammentraf. Feiner Nieselregen benetzte ihr Gesicht und kühlte ihre erhitzten Wangen. »Sein verstaubtes Register war weitaus gesprächiger als er selbst!«
    »Ihr habt aber auch manchmal eine Art, den Menschen auf die Nerven zu fallen!« erwiderte die Amme gleichmütig. Sie lief ein Stück voraus und sah sich die Auslage einer Bretterbude an, hinter der eine junge Frau mit geschwollenen Händen Bürsten und Besen feilbot. Die Frau schien hochschwanger zu sein; sie atmete angestrengt und hielt sich in ihrem Verschlag nur mühsam auf den Beinen. Eine grobe, karierte Decke war ihr einziger Schutz vor der beißenden Kälte. Doch selbst diese hing in Fetzen von ihren Schultern herab. Vermutlich schärften sich sämtliche Katzen der Nachbarschaft an der Wolle ihre Krallen.
    »… für zwei jämmerliche Bürsten aus Roßhaar?« vernahm Philippa plötzlich Roswithas wütenden Protest. »Ich will nicht deinen ganzen Stand kaufen!«
    »Gib ihr, was sie für zwei Bürsten haben will«, sagte Philippa entschieden. »Und nimm noch einen Besen dazu. Ich habe selten Besen von so guter Qualität gesehen!«
    Ein Gefühl hilfloser Traurigkeit überfiel sie, als sie an das kleine Kind aus der Hütte der Barle dachte. Wo mochte der Junge jetzt wohl sein? Warum fragte sich in der ganzen Stadt kein Mensch außer ihr, ob es ihm gutging? »Nichts paßt zusammen«, flüsterte sie gedankenverloren. »Überhaupt nichts!«
    Vor der Begräbniskapelle, einem unscheinbaren Backsteingebäude mit einem schlanken, achteckigen Türmchen, stand ein hagerer Mann und rezitierte vor einer stattlichen Schar frierender Männer und Frauen aus einem schmalen Büchlein. In regelmäßigen Abständen reckte er den Hals und hob warnend seinen dürren Zeigefinger. Seine schlohweißen Haare fielen ihm wie frischer Schnee über die knochigen Schultern.
    »So frage ich euch, meine Brüder und Schwestern, werdet ihr am Tag eurer Heimsuchung glauben? An dem großen Tag, da die Erde zusammengerollt werden wird wie eine Buchrolle und die Elemente vor glühender Hitze schmelzen werden?«
    Philippa blieb stehen und hob die Hand, um Roswitha, die sich mit ihren Bürsten durch das Gedränge kämpfte, auf sich aufmerksam zu machen. Der Prediger starrte sie einige Herzschläge lang irritiert an, dann fuhr er fort: »Ihr behauptet, zum Glauben an das erlösende Wort des Allmächtigen gefunden zu haben. Ich aber frage euch, wie wollt ihr euch vor der Sünde schützen, die wie ein übler Pesthauch eure Stadt zu vergiften droht? Wie wollt ihr das Böse von

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