Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Magistra

Die Magistra

Titel: Die Magistra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guido Dieckmann
Vom Netzwerk:
Achseln und ging in ihre Kammer. Noch während sie das schwere Eichenholz des Truhendeckels in die Höhe stemmte, überkam sie das untrügliche Gefühl, daß ihre Sachen durchsucht worden waren. Die wenigen Roben, Gürtel und Hauben, die ihre Tante für sie hatte anfertigen lassen, lagen zwar an ihrem Platz, ebenso die Schatulle, in der sie ein silbernes Armband mit Saphiren, ein paar goldene Ohrringe und eine Anzahl von Ringen, Gemmen und Elfenbeinnadeln ihrer Mutter aufbewahrte, und doch bemerkte Philippa, daß ein Fremder an ihren Sachen gewesen sein mußte, denn sie selbst hatte ihre Kleider noch niemals so ordentlich gefaltet. In Lippendorf hatte Roswitha sie deswegen mehr als einmal gescholten. Mit wachsender Beunruhigung tastete die Magistra die Seitenränder der Truhe ab. Alles von Wert befand sich noch an seinem Platz, sogar der Brief, in dem Sebastian von Bora seiner Schwester die Heirat mit Abekke von Medewitz angezeigt hatte.
    Aber das in Öl getränkte Bündel war verschwunden. Jemand hatte die Figur der heiligen Katharina gestohlen.
    Lautlos ließ Philippa sich neben der Truhe auf die Holzdielen sinken und starrte wie gebannt auf den mächtigen Deckel, als wäre er der Rachen eines Ungetüms, das nur darauf wartete, sie zu verschlingen.
    ***
    Am nächsten Morgen besuchte Philippa trotz ihrer Erschöpfung den Frühgottesdienst in der Schloßkirche. Müde lehnte sie sich gegen einen Pfeiler weit hinten im Kirchenschiff, faltete die Hände und gab sich den Gesängen der Antiphon hin, die nach Doktor Luthers Regel jeden Morgen eine halbe Stunde vor der Predigt angestimmt wurden. Auf drei lateinische Psalmen und zwei in deutscher Sprache folgte das Te deum laudamus . Den Abschluß bildete das Benedictus, das wiederum auf deutsch vorgetragen wurde. Einige Reihen vor ihr stand die Eidgräfin von Hoechterstedt in Begleitung eines Pagen. Sie hatte die Hände gefaltet und den Kopf geneigt. Vermutlich betet sie für das Seelenheil ihres Gemahls, dachte Philippa, bereute ihren Sarkasmus jedoch schon im nächsten Augenblick. Die Französin hatte an Wolfgers Seite gewiß alles andere als ein angenehmes Leben.
    Philippa schloß die Augen und ließ die sanften Melodien des Kantors sowie die Töne der Orgel auf sich wirken, welche die Welt um sie herum für einige Augenblicke in Sorglosigkeit und Harmonie versetzten. Was sie hörte, gefiel ihr und sie erwog, in ihrer Schulstube künftig vor jeder Katechismusstunde ebenfalls einen deutschen Psalm anstimmen zu lassen. Immerhin sollte die Gemeinde nach der neuen Ordnung an den Metten, Messen und Vespern stärker als bisher beteiligt werden. Den Schulmeistern und deren Gehilfen, so erklärte der Pastor nach dem Gesang, kam es hierbei zu, mit gutem Beispiel voranzugehen.
    Nach der Messe warf Philippa ein paar Münzen in den schwarzen Kasten, der im Mittelgang der Kirche aufgestellt worden war. Während der Fastenzeit sollte die Mildtätigkeit der Bürger durch fromme Schenkungen und Kollekten angeregt werden. Philippas Weißpfennige stießen indessen deutlich auf dumpfes Holz statt auf klirrendes Metall. Die Zeiten waren schlecht, der lange Winter hatte auch den Städtern hart zugesetzt.
    ***
    Es gab nur einen Mann, der etwas über den Verbleib Felix Bernardis wissen konnte. Das war der Drucker Hans Lufft, bei dem die Gelehrten der Wittenberger Universität ein und aus gingen, um Bücher und Flugschriften in Auftrag zu geben.
    Ein eisiger Windstoß fuhr Philippa ins Gesicht, als sie vom Kirchplatz in die Mauergasse bog. Den Marktplatz mied sie. Sie sah nicht auf die spielenden Kinder, die auf der Gasse durch Pfützen sprangen und einander mit jauchzenden Stimmen Reimworte zuriefen. Aus den Augenwinkeln bekam sie jedoch mit, wie eine Frau aus einem Hausflur eilte und zwei der Kinder mit barschen Worten ins Haus rief. Die wenigen Passanten, die Philippa begegneten, wichen ihr aus. Von weitem erkannte sie die Freihöferin mit einer Milchkanne in der Hand. Raschen Schrittes zog sie stadteinwärts. Zwei Krämerinnen, deren Buckelkörben ein traniger Geruch entstieg, steckten die Köpfe zusammen und flüsterten verstohlen. Philippa konnte sich denken, was die Weiber über sie, die pflichtvergessene Schulmeisterin, tratschten. Doch es war ihr gleichgültig. Sie zog die Kapuze ihres Mantels tiefer in die Stirn und lief weiter, bis sie das schmiedeeiserne Schild der Buchdruckerei vor sich sah.
    Der Drucker begrüßte sie höflich, wischte seine von Firnis und Ruß geschwärzten

Weitere Kostenlose Bücher