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Die Magistra

Die Magistra

Titel: Die Magistra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guido Dieckmann
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Finger an der Schürze ab und lud sie ein, ihm in seine hinter der Werkstatt gelegene Schreibstube zu folgen.
    »Tretet näher«, erklärte Hans Lufft leutselig.
    Philippa sah sich interessiert um. Die Schreibstube glich mit dem schachbrettartigen Marmorboden, den mit Goldfäden durchwirkten Vorhängen und Tischdecken aus Brokat sowie der von der Decke herabhängenden Messinglampe in Form eines Fisches mehr dem Empfangszimmer eines Patriziers oder Ratsherrn. Über die Hälfte des Raumes wurde von einem Bücherschrank beherrscht, den an beiden Flanken geschnitzte Löwenhäupter zierten. Beeindruckt trat Philippa an die Regale und ließ ihre Blicke über die in schweres Leder oder versilbertes Spanholz gebundenen Folianten des Druckers gleiten. Was sie sah, ließ ihr Herz höher schlagen. Lufft besaß nicht nur die Colloquia des Erasmus von Rotterdam, sondern auch verschiedene Ausgaben der plautischen Komödien, die Metamorphosen des Ovid, Melanchthons griechische Grammatik in verschiedenartigen Ausgaben sowie die Werke der Kirchenhistoriker von Nazianz und großer Lehrer wie Augustinus und Thomas von Aquin. Auf dem Schreibtisch lag aufgeschlagen zwischen angespitzten Griffeln und einem Tintenfaß ein Teil der Germanengeschichte des Conrad Celtis.
    »Ich vermutete schon, daß Ihr mich früher oder später aufsuchen würdet, Schulmeisterin«, begann der Drucker mit rauher Stimme. »Schon damals, als Ihr mit Bernardi in meiner Werkstatt wart und über die hebräische Grammatik diskutiert habt!«
    »Dann wißt Ihr wohl auch, was Eurem Freund und Schützling vorgeworfen wird«, entgegnete Philippa. »Die Anklagen häufen sich von Tag zu Tag, und in ganz Wittenberg gibt es kaum noch einen Menschen, der sich an einem des Mordes verdächtigen Magister die Finger verbrennen möchte!«
    Der Drucker verzog das Gesicht. »Und wie kommt Ihr darauf, daß ich Euch weiterhelfen kann, Jungfer? Ich bin bloß ein einfacher Drucker, der die Ansichten der gelehrten Herren in die Presse schiebt.«
    »Glaubt Ihr wirklich, ich würde ihn verraten?«
    »Ihr seid Martin Luthers Nichte«, antwortete Lufft ausweichend. Aus der Werkstatt ertönten knarrende Geräusche, die darauf hinwiesen, daß die Gesellen des Druckers die Preßschraube bedienten. »Der gnädige Herr hat mir und meinem Haus immer großes Vertrauen entgegengebracht. Ich habe seine Bibelübersetzung gedruckt …«
    »Das weiß ich alles!« Philippa blickte dem Drucker tief in die Augen. »Ebenso weiß ich, daß Bernardi die Stadt ohne meine Hilfe nicht als freier Mann verlassen kann!«
    »Der Magister ist ziemlich dickköpfig! Deshalb geriet er auch immer mit Doktor Luther aneinander. Der gnädige Herr hätte ihm die Flausen schon vor Jahren austreiben sollen. Wer seinen Sohn liebt, sucht ihn sicher heim mit Züchtigung, heißt es in der Bibel. Was widerfuhr denn Salomon mit Rehabeam, seinem Sohn, den er doch ohne Zweifel gut unterrichtet hatte und der doch hinterher verdarb? Was geschah Abraham, der seinen Knaben auf den Opferaltar binden mußte, oder dem Priester Eli, der seinen Kindern gegenüber zu nachgiebig gewesen war und deshalb sich und das Volk Israel in Jammer und Not gebracht hat?«
    »Verzeiht mir, Meister, aber die Predigt liegt bereits hinter mir. Ich bitte Euch noch einmal, sagt mir, wo ich Bernardi finden kann!«
    Der Drucker antwortete nicht sofort. Mit zusammengekniffenen Lippen trat er an seinen Bücherschrank, öffnete ihn und holte einen geflochtenen Weidenkorb heraus. Wortlos drückte er ihn Philippa in die Hand.
    »Ich verpflege den törichten Kerl seit Tagen mit Lebensmitteln und Arzneien. Ich kann nur hoffen, daß Ihr nicht gleich zur Stadtwache lauft.« Verschwörerisch drehte er sich nach allen Seiten um, ehe er Philippa erklärte: »Am Pulverturm, gleich hinter der Kuhpforte, steht ein verfallenes Haus, in das sich seit Anfang des Monats weder Mann noch Frau mehr traut. Der Magistrat ließ es versiegeln, weil eine der Teufelsbuhlschaft verdächtige Wehmutter darin ihrem finsteren Tagwerk nachging. Nun aber ist das Weib tot und ihr Haus verlassen.«
    Philippa mußte unwillkürlich schlucken. Die alte Barle, schoß es ihr durch den Kopf, Bernardi versteckte sich in der Hütte der Barle.
    ***
    Das verfallene Gemäuer der toten Hebamme wirkte selbst im Tageslicht düster und gespenstisch. Philippa sah sich verstohlen um. Die Finger ihrer rechten Hand, mit denen sie den Henkel des Weidenkorbes umklammerte, waren vor Kälte gefühllos geworden. Warum hatte

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