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Die Magistra

Die Magistra

Titel: Die Magistra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guido Dieckmann
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zog sich die Decke vom Oberkörper und streckte den Arm, eine ungeschickte Bewegung, die ihm augenblicklich Schmerzen bereitete. Er verzog das Gesicht. »Es geht schon«, sagte er. »Meister Lufft hat die Wunde mit heißem Öl ausgegossen und mich drei Tage lang mit einer von Cranachs übelriechenden Salben traktiert. Wenn mich nicht alles täuscht, tragt Ihr in diesem Korb schmerzstillende Kräuter bei Euch!«
    »Blauer Eisenhut, Campher und Stechapfel«, bestätigte Philippa und erhob sich, um die Stube nach einem Mörser abzusuchen. »Der Drucker hat mir auch gezeigt, wie ich sie zerkleinern muß.«
    Als sie den langen Tisch wiedererkannte, auf dem die Barle wenige Wochen zuvor ihre Geburtsinstrumente ausgebreitet hatte, fühlte sie unwillkürlich, wie Tränen in ihr aufstiegen. Heftig kniff sie sich in die Wangen. Sie durfte vor Bernardi nicht die Fassung verlieren. Rasch wandte sie sich einem Schrank zu, dessen Türen nur noch lose in den Angeln hingen. Während sie sich bemühte, in der Finsternis die einzelnen Fächer abzutasten, berichtete sie Bernardi von ihren Erlebnissen in Rauhfeld, der Krankheit ihres Onkels und zuletzt von Wolfgers sonderbarem Angebot.
    »Ich hoffe, Ihr wart diesmal nicht so töricht, Euch von dem Eidgrafen einwickeln zu lassen«, bemerkte der Magister von seinem Matratzenlager. »Der Mann ist ein durchtriebener Lügner und sein Ehrenwort so wertlos wie ein eitriges Furunkel!«
    »Mag sein. Doch seine Geleitbriefe werden Euch nach Straßburg bringen. Die Lepperin stammte nicht aus dem kleinen Weiler bei Magdeburg. Viel früher hätte mir auffallen müssen, daß ihr Erscheinungsbild und ihr vornehmes Gebaren nicht zu einer Dienstmagd paßten. Erinnert Euch nur an das unselige Gastmahl im Haus meines Onkels.«
    »Wie könnte ich das vergessen!«
    »Das Mädchen konnte nicht einmal aus einem Krug einschenken, ohne die Hälfte zu verschütten. Vermutlich ist sie selbst mit Bediensteten aufgewachsen. Sie hat früh geheiratet und in Straßburg ein Kind zur Welt gebracht, ehe sie aus mir noch unbekannten Gründen ins Sächsische zog.«
    Philippa hockte sich auf einen Schemel und schlang ihren staubigen Mantel enger um die Beine. Sie mußte den törichten Bernardi versorgen, bis er kräftig genug war, um die Strapazen einer Reise in die freie Reichsstadt Straßburg durchzustehen. Solange Wolfger sich ihrer Verschwiegenheit gewiß war, hatte er keinen Grund, ihr weitere Steine in den Weg zu legen, denn er wußte, daß sie zurückkehren würde. Die Reformatoren und ihre Familien betrachtete er nur als Figuren auf dem Schachbrett seiner ehrgeizigen Pläne. Es gab allerdings noch eine andere Figur in diesem Spiel, und plötzlich verstand Philippa, daß dessen Pläne auf dem Wunsch nach Rache und Vergeltung gründeten. Dieser Jemand lebte scheinbar unbescholten in Wittenberg, doch sein Haß trieb ihn gegen diejenigen, die eine neue Ordnung der Kirche anstrebten. Die am Tor angenagelte Reichsacht. Maria Leppers Frage nach der Rechtmäßigkeit alttestamentarischer Doppelehen. Ein Kind, das zweifelsohne geboren wurde, jedoch nie wieder auftauchte und der Diebstahl einer Heiligenfigur aus ihrer Kammer – in Philippas Kopf verband sich alles auf einmal zu einem Bild.
    »So muß es sein«, flüsterte sie vor sich hin, während der Magister sie mit ratloser Miene beobachtete. »Ich glaube, ich beginne zu verstehen, was unser Freund tatsächlich im Schilde führt und warum die Lepperin ihm dabei in die Quere kam!«

20. Kapitel
    In den folgenden Tagen blieb Philippa von größeren Aufregungen verschont. Ihre Tante reiste nach Altenburg, um die Pflege ihres Gemahls persönlich zu überwachen. Sie traute den fremden Ärzten nicht und war davon überzeugt, daß der Kranke unter ihren fürsorglichen Händen rascher genesen und die Heimreise nach Wittenberg würde antreten können. Voller Tatendrang hatte sie Philippa die Aufsicht über den Hof sowie die Rechnungsbücher übergeben, wohl auch in der Hoffnung, die Nichte werde keine Dummheiten begehen, solange sie ans Haus und an die Schulstube gebunden war.
    Philippa fügte sich in das Unvermeidbare. Sie stand im Morgengrauen auf und wies den Knechten und Mägden ihr Tagwerk zu. Dann versammelte sie ihre Schülerinnen am Tor um sich und führte sie zur Morgenandacht, bevor der Unterricht in der Schulstube begann. Erst nachdem die Glocken der Marienkirche die sechste Stunde eingeläutet hatten, gönnte sie sich einige Minuten der Ruhe. Nach Einbruch der

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