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Die Magistra

Die Magistra

Titel: Die Magistra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guido Dieckmann
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sie auch ihre Handschuhe zu Hause liegenlassen?
    Mit klopfendem Herzen schlich sie an der Mauer des Pulverturms entlang. Dürres Gras und ein paar ausgetrocknete Pflanzensamen rieselten aus den schwarzen Schießscharten auf sie herab. Vermutlich hatten Krähen oder anderes Getier in den zugigen Ritzen ihre Nester gebaut, die nun vom Winde zerpflückt wurden. Die beiden Fenster der Behausung waren zur Gasse hinaus mit Brettern vernagelt. Philippa versuchte sich zu erinnern, ob die Hütte auch bei ihrem ersten Besuch bereits so schäbig ausgesehen hatte, doch es gelang ihr nicht. Das einzige, dessen sie sich entsann, war der üble Geruch nach verfaultem Unrat, der nun auch auf sie eindrang, als sie den ungepflasterten Innenhof betrat. Rechts und links von ihr ragten turmhohe Ziegelmauern auf, an deren Enden hölzerne Geländerstäbe Balkons und Balustraden andeuteten. Zerknitterte Wäschestücke wehten wie Fahnen im Wind.
    An der Tür der Kate prangte ein rotes Siegel mit dem städtischen Wappen. Das Bienenwachs war fast bis zur Unkenntlichkeit verbogen, was bei den herrschenden Temperaturen mehr als eigenartig war. Merkwürdiger jedoch erschien Philippa, daß das Siegel zwischen Tür und Rahmen keine Bruchstelle aufwies. Wie aber war der Drucker in die Hütte gelangt, ohne es zu zerstören?
    Philippa ging in den schmutzigen Innenhof zurück. Aus einer der Wohnungen über ihr ertönte Kindergeschrei. Eine weinerliche Stimme verlangte nach einer Person, deren Namen Philippa nicht verstehen konnte. Mit prüfenden Blicken maß sie die windschiefe Kate. Ihre rechte Außenmauer teilte sie sich mit dem Pulverturm, möglicherweise gab es durch diesen einen Zugang zum Haus der Hebamme.
    Der Turm war unverschlossen. In seinem Inneren stank es noch erbärmlicher als auf der Gasse. Philippa mußte über zerbrochene Möbel, Säcke mit unbrauchbar gewordenem Pulver und verbeulte Brustpanzer steigen, für die weder Trödler noch Blechschläger Verwendung gefunden hatten. Schließlich entdeckte sie zwischen zwei Kisten eine Pforte. Zaghaft drückte sie die Klinke herunter und trat in die dämmrige Stube der alten Barle.
    Unmittelbar hinter der Feuerstelle befand sich ein Lager aus Matratzen, Kissen und Wolldecken. Dort lag Bernardi. Sein hagerer Körper lehnte gegen einen der massiven Stützbalken, die das Giebeldach des Hauses trugen. Zwischen dem Gebälk hingen Spinnweben in langen Fäden herab.
    Vorsichtig trat Philippa näher. Die brüchigen Dielen knarrten unter ihren Füßen, doch Bernardis Augen waren geschlossen, allein seine Lider zitterten nervös.
    Schlief er oder war er ohnmächtig? Unschlüssig beugte sich Philippa über den reglosen Körper und suchte seine Stirn. Sie war heiß, dennoch schien Bernardi unter seinen Decken zu frieren.
    Sie wußte, daß sie kein Feuer machen durfte. Ein rauchender Kamin hätte jedem in der Stadt sofort verraten, daß das Haus der vermeintlichen Hexe nicht länger unbewohnt war. »Bernardi, hört Ihr mich?« flüsterte sie und berührte den Magister an der Schulter. Ein Stöhnen antwortete ihr. Der Magister schlug die Augen auf und bedachte sie mit einem glasigen Blick.
    »Wie … kommt Ihr hierher?« Er schaute verwirrt auf den Weidenkorb in ihrer Hand, dann sank er seufzend in die Kissen zurück. »Eurer Beharrlichkeit kann wohl kein Mann widerstehen!«
    »Womöglich bin ich eine mächtigere Zauberin, als die alte Barle es jemals gewesen ist«, antwortete Philippa sanft und stellte den Korb des Druckers auf einen flachen Ziegelstein. »Oder ein größerer Dummkopf als ein gewisser Magister, der mir hoch und heilig versprach, keinen Fluchtversuch zu unternehmen!« Mit ihren letzten Worten verflog die Zärtlichkeit, die beide einen Herzschlag lang in ihren Bann gezogen hatte. Argwöhnisch betrachtete Philippa den Mann auf dem Matratzenlager. Seine Augen lagen tief in den Höhlen. Kinn und Wangen waren unrasiert.
    »Ich … konnte nicht anders, Philippa. Es war … eine Falle. Ich sollte fliehen und sofort danach gefaßt werden. Das begriff ich aber erst, als ich den Wächter ohnmächtig vor meiner Kammer fand! Im Hof warteten bereits die Männer des Stadthauptmanns auf mich. Meint Ihr, sie hätten mir noch geglaubt, daß nicht ich es war, der den Mann niederstreckte?«
    »Ich verstehe«, erwiderte Philippa nachdenklich. »Unserem geheimnisvollen Freund scheint eine Menge daran zu liegen, Euch vor der Obrigkeit in ein schlechtes Licht zu rücken. Was ist mit Eurer Schulter?«
    Bernardi

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