Die Magistra
Bernardi das Schwarze Kloster verließ!« sagte sie nach einer Weile. »Es gab keine gemeinsamen Pläne. Im Gegenteil, ich beschwor den Magister eindringlich, bis zu meiner Rückkehr im Gewahrsam zu bleiben und nichts zu riskieren!«
Der Eidgraf setzte sich auf einen Stuhl ihr gegenüber. Sein Schwert mit dem kostbaren Knauf legte er sich quer über beide Knie. »Warum habt Ihr und die Lutherin Wittenberg verlassen? Wo seid Ihr gewesen?«
Philippa strich sich die Haare aus der Stirn. Es gab also doch noch Dinge, die Wolfgers Spionen entgangen waren. Mit knappen Worten berichtete sie ihm von ihrer Handelsfahrt und vom Einkauf der Kräuter und Sämereien. Als sie den Namen des Dorfes erwähnte, blickte sie erwartungsvoll auf, doch die Miene ihres Gegenübers blieb völlig ausdruckslos. Offensichtlich verband er nichts mit dem Namen des Ortes, in dem die Lepperin einige Monate vor ihrer Abreise nach Wittenberg als Amme des Dorfvorstehers gewirkt hatte.
Dann, nach ihrem Bericht, schwieg sie für ein paar Momente. Schwerfällig stand sie auf und trat zum Alkoven. Der rote Samt des Polsters glänzte verlockend im Schein des Kandelabers. Während Wolfger noch immer wie eine Statue auf seinem Stuhl saß, spürte sie, wie eine tiefe Erschöpfung sich in ihr breitmachte. Sie dachte an Barbara und die Mädchen, die sie im Schwarzen Kloster zurückgelassen hatte. Ihre Schülerinnen hatten vergeblich bei Magister Hans auf die Rückkehr ihrer Schulmeisterin gewartet.
»Ihr habt die Lepperin nicht getötet«, sagte sie plötzlich, ohne zu wissen, was sie dazu trieb. »Euch ging es immer nur um die Entwicklung Eurer Beziehung zu Herzog Georg. Folglich ist es Euch gleichgültig, ob der Magister dafür hängen muß oder nicht. Bernardi war für Euch zu keiner Zeit mehr als ein Druckmittel, um mich und die Familie meines Onkels gefügig zu machen, nicht wahr?«
»Ihr seid ein kluges Mädchen, Philippa von Bora. Dies läßt mich hoffen, daß Ihr den Vorschlag, den ich Euch machen will, aufmerksam bedenken werdet. Euer Freund, dieser jüdische Konvertit, versteckt sich irgendwo in der Stadt. Ergreift ihn die Scharwache, so wird er der hochnotpeinlichen Befragung schwerlich entgehen. Der Stadthauptmann spuckt seinetwegen seit Tagen Gift und Galle. Er hat auch bereits die Streckbank im Karzer herrichten lassen.« Der Graf zögerte einen Moment, um die Wirkung seiner Worte zu verstärken. »Ich dagegen werde Euch helfen, den Magister in Sicherheit zu bringen, bis der wahre Schuldige am Tod Eurer kleinen Magd entlarvt ist. Den Preis, den ich dafür verlange, kennt Ihr bereits: Ihr werdet zum Hof Georgs des Bärtigen reisen und ihm meine Papiere überbringen!«
»So plant Ihr also tatsächlich, Euren Herrn, Landgraf Philipp, an den Sachsenherzog zu verraten?« stieß Philippa hervor. »Bei allen Heiligen, Ihr seid schlimmer als jede Krämerseele.«
»Dankt mir, sobald Eure Mission erfolgreich hinter Euch liegt«, spottete Wolfger. »Habt Ihr überhaupt eine Ahnung, wo sich der Magister verkrochen haben könnte?«
Philippa holte tief Luft und legte die Stirn in Falten. Der Eidgraf hatte in aller Offenheit mit ihr gesprochen und seine Karten auf den Tisch gelegt. In gewisser Weise schien er ihr zu vertrauen. Doch seine Ränkespiele waren nicht dazu angetan, die tiefe Abneigung, die sie für ihn hegte, sowie ihren Argwohn auch nur um einen Fingerbreit zu schmälern. Der Kontrakt, den er ihr aufzwang, hatte nichts mit freier Entscheidung zu tun. Er war lediglich das Angebot einer vorübergehenden Waffenruhe!
Wolfger schien ihre Gedanken erraten zu haben, denn er sagte belustigt: »Ihr braucht mir nicht zu verraten, wo Bernardi steckt. Schickt einfach einen Eurer Knechte morgen zur Mittagsstunde in mein Kabinett, damit er die Geleitbriefe in Empfang nehmen kann. Sagt mir nur, wohin die Reise gehen soll.«
»Nach Straßburg«, erklärte Philippa, ohne zu überlegen. »Bernardi wird nach Straßburg gehen, und ich erwarte, daß Ihr Euren Teil des Vertrags einhaltet!«
Wolfger stieß eine Tür auf, die in einen größeren, mit blanken Marmorsteinen ausgelegten Empfangsraum führte, und winkte Philippa mit einer unerwartet höflichen Geste, die Kemenate zu verlassen.
»Wenn Ihr es nicht wart, die Bernardi zur Flucht verholfen hat«, rief er ihr unvermittelt nach, »so wüßte ich gerne, wem wir sie zu verdanken haben und welche Absichten dieser Jemand damit verfolgte!« Mit einem Augenzwinkern befahl er seinen Pagen, der vor der Kemenate
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