Die Magistra
auf einer Truhe saß, zu sich und warf dann die Tür ins Schloß.
19. Kapitel
Zu Hause angekommen, traf Philippa auf eine völlig aufgelöste Katharina. Tränen liefen der Frau über die hohen Wangen, als sie ihre Nichte in die Arme schloß. Mit atemloser Stimme berichtete sie, wie sie, sofort nachdem sie die Nachricht von Philippas Verschwinden erfahren hatte, zu Fuß zum Schloß geeilt war, um deren Freilassung zu erwirken. Dort hatte man die Lutherin jedoch bereits am Tor abgewiesen. Der Stadthauptmann, der sich vermutlich freute, eine alte Scharte auswetzen zu können, hatte sich ebenfalls verleugnen lassen. Zuletzt blieb auch der Bittgang zum Haus des einflußreichen Patriziers Krapp ergebnislos. Wie Katharina von einem Diener erfahren hatte, befand sich der Gewandschneider mehrere Tagesmärsche weit von Wittenberg entfernt, um seine Vorbereitungen für die Leipziger Messe zu treffen.
»Du mußt wirklich nach Altenburg?« fragte Philippa ihre Tante, nachdem sie ihr mit wenigen Worten von ihren Erlebnissen im Schloß erzählt hatte. »Ich habe zwei Packpferde im Hof gesehen.«
Die Lutherin nickte. Mit fahrigen Bewegungen strich sie ihr braunes Haar über dem Scheitel glatt und stülpte ein Netz aus flandrischer Spitze über den aufgesteckten Knoten. Innerhalb weniger Augenblicke waren die Tränen auf ihrem Gesicht getrocknet, und die Herrin des Schwarzen Klosters gewann ihre selbstsichere Haltung zurück. »Es wird Zeit, daß dein Onkel wieder nach Hause kommt. Ich schwöre dir, er wird die Demütigungen, die der Eidgraf und seine Schergen dir zugefügt haben, nicht unbeantwortet lassen!«
»Gebe Gott, daß Euer Gemahl das Steinschneiden überlebt«, ließ sich Roswithas Stimme hinter dem Spinnrocken vernehmen. »Der Blechschlägerin Ute aus Zwenkau wurde zu Maria Empfängnis ein Stein aus dem Leib geschnitten, der größer war als eine Walnuß. Sie ist beinahe daran verblutet.«
»Roswitha!« Philippa hätte die Amme erwürgen mögen.
»Was wollt Ihr?« schnarrte die Alte beleidigt. »Die Zwenkauerin war ein Rotschopf, und man weiß, daß die Roten von Geburt an das Schicksal herausfordern! Mit dem Herrn Doktor hat dies nicht das Geringste zu tun.«
Katharinas Augen blitzten gefährlich auf, doch sie erwiderte nichts. Stumm drückte sie ihrer Nichte die Hand und verließ dann die Wohnstube, um nach dem Reiseproviant zu sehen.
Philippa ließ sich von ihrer Amme eine Schale mit in Eigelb und Safran gebackenem Hammelfleisch, Brot und getrockneten Tomaten servieren. Gierig schlang sie die Speisen hinunter und spülte mit frischer Milch nach. Die Aufregungen der vergangenen Stunden hatten sie vergessen lassen, wie lange sie keine warme Mahlzeit mehr eingenommen hatte. Erst als Roswitha sich zum dritten Mal mit ihrer Zinnkanne über ihren Becher beugte, lehnte sie ab. Dankbar tätschelte sie ihrer Amme die Hand, doch die alte Frau stöhnte vor Schmerzen auf und zuckte zurück.
»Tut mir leid«, sagte Philippa voller Bedauern. »Wenn die Entzündung bis morgen nicht zurückgegangen ist, werde ich den Medicus rufen lassen!«
»Spart Euer Geld! Mir wäre es weitaus lieber, wenn Ihr das Haus bis zur Rückkehr der Luthers nicht mehr verlassen würdet! Wahrhaftig, Philippa, Eure widerborstige Art, sich in alles einzumischen, hat nur Unglück über dieses Haus gebracht!«
***
Düstere Gedanken suchten Philippa heim, als sie die Treppe zur Schulstube hinaufstieg. Auf dem Flur begegnete ihr keine Menschenseele. Die Scholaren, deren munteres Plaudern und Pfeifen für gewöhnlich von den hohen Decken widerhallte, befanden sich zu dieser Stunde in der Marienkirche beim Gottesdienst, und eigentlich hätte Philippa ihre Schülerinnen ebenfalls zur Andacht begleiten müssen. Sie nahm sich vor, am nächsten Tag die junge Barbara zu besuchen, um ihr für ihre Hilfe zu danken.
In der Schulstube war es stockdunkel. Da auf dem Korridor keine Kienspäne brannten und Philippa auch nicht an eine Laterne gedacht hatte, ließ sie die Tür offenstehen, damit wenigstens etwas Licht von draußen auf die Bankreihen fiel. Vorsichtig tastete sie sich zu ihrem Katheder aufs Podium. Ihre Bücher lagen ordentlich auf dem Pult gestapelt, dabei war Philippa sicher, daß sie ihr während der Rangelei mit Wolfger aus der Hand geglitten und auf den Flur gefallen waren, aber wahrscheinlich hatte eines der Mädchen die Schriften entdeckt und zurück in die Schulstube getragen. Sie klemmte sich die Bücher sowie ihre Schreibmappe unter die
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