Die Magistra
junge Küchenmagd schaute sich suchend im Raum um. »Der Fleischhauer hat sie heute früh ins Haus gebracht, damit wir sie zerteilen und in Salzlake einlegen können. Die Wanne mit dem Salz ist noch da, seht Ihr?« In ihren Pantinen stakste sie zur Feuerstelle und zog einen schweren Zuber aus dem Winkel mit dem gestapelten Klafter Feuerholz. Mit Roswithas Hilfe wuchtete sie ihn auf den Tisch und verließ danach die Küche, um am Ziehbrunnen Wasser zu schöpfen.
»Ich möchte wissen, welcher Unhold uns diesen Streich gespielt hat!« keuchte Roswitha empört. »Wir müssen die Böden aufwischen, ehe die übrigen Hausbewohner etwas von dieser Schweinerei mitbekommen! Gott sei Dank, daß die Herrin nicht im Hause ist!«
»Das hältst du für einen Streich?« Philippa runzelte die Stirn. »Vielleicht ist es ein Streich, doch diesmal gilt er weder Katharina noch dem Doktor.«
»Bei allen Heiligen, wem gilt er dann?«
Philippa griff in den Bottich und rieb nachdenklich eine Prise Salz zwischen Daumen und Zeigefinger. »Glaubst du, du könntest die Verwaltung des Hofes eine Zeitlang allein übernehmen? Wenigstens solange, bis Tante Katharina zurück ist?« fragte sie die Amme.
»Ihr könnt doch nicht schon wieder davonlaufen, Philippa! Eure Tante hat Euch die Bücher und Schlüssel des Schwarzen Klosters übergeben. Damit setzt sie ihr ganzes Vertrauen in Eure Arbeit. Wenn Ihr nun das Haus verlaßt, werden die Schöffen Eure Absetzung als Magistra durchsetzen. Und die Lutherin wird Euch des Hofes verweisen.« Resigniert ließ sich die Alte auf einen Schemel sinken und stützte ihre Arme auf den Tisch. Die junge Magd kam wieder in die Küche gelaufen. Sie trug einen Eimer voll Wasser, Scheuersand und mehrere Lumpen bei sich, die sie sogleich auf den mit Blut beschmierten Dielen auszubreiten begann.
»Die rätselhaften Anschläge auf das Haus und dessen Bewohner werden aufhören, sobald ich die Stadt verlassen habe«, sagte Philippa mit leiser Stimme. »Vorerst zumindest!«
»Dann wißt Ihr also, wer dahintersteckt? Ist es … Bernardi? Ihr müßt auf der Stelle …«
Philippa bedeutete der Amme mit einer entschlossenen Geste zu schweigen. Dann sagte sie: »Zumindest ahne ich, die Person zu kennen! Aber um es zu beweisen und größeren Schaden von Katharina und dem Onkel abzuwehren, muß ich unbedingt nach Straßburg reisen, um etwas zu überprüfen. Wenn ich mich nicht irre, wird Marias Mörder bald seine Maske fallen lassen!« Dann forderte sie die verblüffte Amme auf, zu Valentin in den Stall zu gehen und ihn zu bitten, den kleinen Reisewagen bereitzustellen.
»Wie Ihr befehlt«, seufzte Roswitha und strich ihrem Ziehkind mit einer liebevollen Geste eine widerborstige Haarsträhne unter das Tuch ihrer Haube. »Und was werdet Ihr in der Zwischenzeit tun?«
Philippa lächelte versonnen. Es fiel ihr schwer, sich den gütigen Händen der alten Frau zu entziehen. Doch sie wußte auch, daß sie den Gang, der nun vor ihr lag, nicht länger aufschieben durfte. Sie mußte in die Schulstube hinaufsteigen, um sich dieses Mal endgültig von ihren Schülerinnen zu verabschieden.
21. Kapitel
Zart schimmerten die ersten Strahlen der Frühlingssonne durch die Zweige der Bäume und Sträucher, welche die Landstraße säumten. Noch wenige Tage zuvor hatten die Wiesen und Felder wie erstarrt dagelegen, braun verkrustet oder mit Frost überzogen. Nun glänzten Tautröpfchen zwischen den Grashalmen, die, von der Sonne beschienen, wie Diamantsplitter aussahen.
Obwohl Philippa die Fähigkeit besaß, einer jeden Jahreszeit etwas abzugewinnen, verspürte sie doch eine große Erleichterung, daß der lähmende Winter endlich hinter ihnen lag. In wenigen Tagen würden auf den Dorfplätzen die Reisigfeuer entzündet werden, um die strohgefüllten Puppen, die den kalten Feind darstellten, zu verbrennen und den Frühling willkommen zu heißen. In freudiger Erwartung der wärmeren Jahreszeit streifte Philippa sich die wollenen Fäustlinge von den Händen und legte sie zwischen sich und Bernardi auf das Polster des Bockes. Besorgt ließ sie ihre Blicke über die Schulter des Magisters schweifen. Sie wußte, daß dessen Wunde trotz sorgfältiger Behandlung noch nicht vollständig verheilt war. Doch Bernardi hielt sich aufrecht und trieb die beiden Pferde im Gespann zur Eile an. Seit sie die Türme und Zinnen Wittenbergs hinter sich gelassen hatten, war nicht ein einziger Laut der Klage über seine Lippen gekommen. Im Grunde redete er fast
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