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Die Magistra

Die Magistra

Titel: Die Magistra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guido Dieckmann
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Zweifelsohne kannte er das Temperament des Wittenberger Reformators besser als mancher andere. Mehr als einmal hatte er Luther zu Vorsicht und Mäßigung gemahnt. Er selbst, soviel wußte Philippa aus Gesprächen mit ihrer Tante, galt unter den Theologen des Reichs als Mann des Ausgleichs. Er beschwichtigte die Prediger Straßburgs, die von ihren Kanzeln ohne Unterlaß gegen Juden, Papisten, Schwärmer und Täufer gleichermaßen wetterten, und verbrachte ganze Nächte damit, Gutachten zu verfassen, um Menschen beizustehen, die auch in reformierten Gegenden wegen ihrer Glaubensüberzeugung in Gefahr geraten waren. Diese gemäßigte Haltung teilte er mit Melanchthon, doch seine Freunde wußten hinter vorgehaltener Hand zu berichten, daß der gutmütige Pfarrherr an wachsender Schwermut litt und sich danach sehnte, dem Gezänk der streitenden Geister zu entkommen.
    »Du fühlst dich nicht wohl«, stellte Wibrandis fest, als sie das sorgenvolle Gesicht ihres Mannes betrachtete. »Darf ich vorschlagen, den Pfarrat auf morgen zu verschieben? Du mußt dich ausruhen!«
    Höflich erhoben sich die schwarzgekleideten Herren und verabschiedeten sich von ihren Gastgebern und deren Besuchern. Der Pfarrherr begleitete sie aus dem Raum.
    »Die Arbeit zehrt ihn auf«, bemerkte Wibrandis und rollte vielsagend mit den Augen. »Feilt er nicht gerade an seinen Predigten, so besucht er Spitäler oder empfängt die Herren von Jung-St. Peter, um über die Armenfürsorge in der Gemeinde oder das Schulwesen zu diskutieren. Haben diese Unterredungen endlich ein Ende gefunden, rennen uns seine Schüler oder Bittgänger mit ihren Fragen und Nöten die Türe ein. Es ist jeden Tag dasselbe!« Erschrocken blickte sie auf und schlug sich die Hand vor den Mund. »Verzeiht, Jungfer von Bora. Damit wollte ich gewiß nicht sagen, daß Ihr uns eine Last seid. Manchmal ist mein Mundwerk einfach flinker als mein Verstand. Capito hat mich deswegen oft gescholten!«
    »Ich vermute, der Herr Pfarrer weiß dennoch, welchen Schatz er an Euch hat, Frau Wibrandis«, sagte Bernardi lächelnd.
    Die Frau strahlte erleichtert. »Habt Dank für Euer Verständnis, Herr! Es ist wahrhaftig nicht einfach, sich in diesem Haushalt zurechtzufinden. Zweimal trug ich bereits die Witwentracht, ehe ich Capitos Frau wurde. Damals steckte er in erheblichen Schwierigkeiten, da er in seiner Gutherzigkeit für einige Männer Bürgschaften übernommen hatte, die ihn letztendlich in erdrückende Schulden stürzten. Fragt nicht, wie oft ich mich damals um den roten Pfennigturm herumdrückte, ehe ich den Mut aufbrachte, die Zehntknechte um einen Kredit zu bitten. In jenen Jahren galt es für eine Pfarrersfrau, sparsam und erfinderisch sein, denn Capito wäre lieber hungrig zu Bett gegangen, als die Hilfesuchenden und Flüchtlinge von seiner Schwelle zu weisen. Gottlob liegen die mageren Jahre vorerst hinter uns!«
    »Vorausgesetzt, daß es nicht zum Krieg gegen die Kaiserlichen kommt«, bemerkte Bernardi düster und nahm einen Schluck aus seinem dampfenden Becher. Philippa hörte kaum noch zu. Vor Müdigkeit fielen ihr die Augen zu. Nichts wünschte sie sich sehnlicher als eine Schüssel mit warmem Wasser und eine Bettstatt.
    »Armes Kind«, hörte sie da auch schon die Pfarrersfrau rufen. »Da rede und rede ich, dabei schläft das Mädchen nach der weiten Reise bereits im Stehen. Bitte folgt mir, ich werde Euch sogleich zu Euren Zimmern führen!«
    Nachdem Philippa das einfache Kastenbett bestiegen hatte, floh die Müdigkeit plötzlich mit einem Schlag von ihr. Verdrossen lauschte sie, wie sich die Schindeln auf dem Dach im Wind hin- und herschoben und wie das Gebälk des Fachwerks leise knarrte. Während sich ihre Blicke auf die Dachschräge richteten, gingen ihr die Worte des Hausherrn durch den Kopf. Der Pfarrherr hatte von einem Boten aus Schmalkalden gesprochen, die Gerüchte um den Mord im Lutherhaus schienen hingegen noch nicht bis Straßburg gedrungen zu sein. Irgendwann, die Turmuhr von St. Peter hatte längst die Mitternachtsstunde eingeläutet, entführten Philippa die Geräusche des fremden Hauses in einen unruhigen, traumlosen Schlaf.
    ***
    Im Morgengrauen traf Philippa Capito und Wibrandis in deren kleinem, mit Reben besetzten Innenhof vor dem Backofen an.
    Wibrandis hantierte mit einem ellenlangen Schieber und förderte eine stattliche Anzahl runder Weizenbrote und halbmondförmiger Gebäckstücke aus der rauchenden Öffnung. Offensichtlich war die Hausmagd noch zu

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