Die Magistra
gar nicht mit ihr. Wohl erkundigte er sich in regelmäßigen Abständen nach ihrem Befinden, fragte fürsorglich nach, wann sie gerne rasten wollte und ob die Herbergen, die er des Abends ansteuerte, ihren Ansprüchen genügte. Doch zu weiteren Gesprächen war er nicht zu bewegen. Vermutlich ärgert er sich noch immer über Wolfgers Geleitbriefe, ging es Philippa durch den Kopf, während sie eine Schar Stare beobachtete, die hoch über ihren Köpfen kreiste. Am Stadttor, als der Wächter die Dokumente geprüft hatte, hatte Bernardi gute Miene zum bösen Spiel gemacht, doch Philippa war nicht entgangen, daß er die beiden Papiere mit dem Siegel des Eidgrafen von Hoechterstedt zwischen den Fingerspitzen gehalten hatte, als befürchtete er, sich an ihnen zu verbrennen.
So verlief die lange Reise quer durch Deutschland schweigsam und ohne größere Aufregung. Bis Bernardi eines Nachmittags unversehens die Zügel strammzog. Es war ein milder Tag, ein sanftes Lüftchen fuhr durch die Wipfel der Bäume.
»Hinter dem Berg könnt Ihr bei gutem Wetter das Straßburger Münster sehen«, rief Bernardi und sprang vom Bock des Karrens. »Die Burg dort drüben«, er deutete auf ein graues Gemäuer mit Schießscharten, »gehört bereits zu Barr. Ich schätze, heute abend haben wir die Stadt erreicht!«
Philippa nickte und kletterte, ohne Bernardis Hilfe abzuwarten, ebenfalls vom Wagen. Vorsichtig hob sie den Saum ihres blauen Umhanges, um ein schmales Rinnsal zu überqueren, das ihren Weg zum Gipfel des Hanges kreuzte. Obschon es noch immer recht kalt war, fühlte sie, wie sich ob der Anstrengung Schweißtröpfchen auf ihrer Stirn bildeten. Rasch zog sie ein Tüchlein aus ihrem Kleid und tauchte es ins Wasser.
»Wo beabsichtigt Ihr in Straßburg Quartier zu nehmen?« hörte sie Bernardis Stimme in ihrem Rücken. »Doch gewiß nicht in einem Gasthof?«
Philippa richtete sich auf und tupfte ihre Stirn mit dem feuchten Tuch ab. »Meine Verwandten haben Freunde in der Stadt«, erklärte sie kurz angebunden. »Tante Katharina spricht stets mit Hochachtung von Wolfgang Capito und seiner Gemahlin Wibrandis. Capito ist Pfarrherr an der Kirche von Jung-St. Peter und einer der eifrigsten Reformer Straßburgs. Er wird uns seine Hilfe nicht verweigern!«
»Seit wann schlägt Euer Herz für Reformatoren?« Bernardi versuchte, sie von neuem herauszufordern. Doch Philippa ging nicht darauf ein. Erschöpft stieg sie den Hang weiter hinauf, bis sie nach einigen Biegungen ein Plateau erreichte. Ein herrlicher Ausblick über das ganze Land ließ sie die Schinderei und Bernardis spitze Bemerkungen rasch vergessen. Wälder, Berge mit winzigen Burgtürmen, breite Ebenen, die von Flüssen durchzogen wurden. Dort hinten, irgendwo im Dunst der Weite, mußten sich die Dächer Straßburgs erheben. Den Turm des Münsters konnte sie allerdings nicht ausmachen. Philippa spürte einen sonderbaren Stich in ihrem Herzen, als Bernardi sich neben sie stellte, so eng, daß ihre Arme einander berührten. Sie wich ihm nicht aus, sondern blieb, wo sie war. Tausend Empfindungen strömten durch ihren Körper, ließen ihren Geist vom Hügel schweben wie ein Adler, der seine Schwingen über dem Tal ausbreitete. Bernardi, überlegte sie, war nicht verpflichtet, nach Wittenberg zurückzukehren und sich den gegen ihn erhobenen Vorwürfen zu stellen. Er hatte die Möglichkeit in der freien Reichsstadt ein neues Leben zu beginnen. Vielleicht fand er eine Anstellung als Magister für alte Sprachen an der Universität und eine hübsche, vermögende Bürgerstochter, mit der er eine Familie gründen konnte. War es selbstsüchtig von ihr, darauf zu hoffen, daß er sich niemals für blaue Augen, Kirchweih und ausgelassene Tänze um den Maibaum interessieren würde?
***
Bernardi hatte sich nicht verschätzt, was die Entfernungen betraf. Sie erreichten das Stadttor Straßburgs mit der Dämmerung. Die Wittenberger Geleitbriefe, die Bernardi und Philippa als Angehörige der Leucorea auswiesen, wurden auch von den Stadtwachen nicht in Frage gestellt. Der wortgewandte Prediger Bucer hatte die reformierte Stadt und deren Rat gelehrt, es sich mit den Wittenbergern nicht zu verderben. So dauerte es keine zehn Minuten, bis Bernardi sein Gefährt über das holprige Pflaster des Burggrabens stadteinwärts lenken konnte.
»Ich war vor einigen Jahren schon einmal hier«, erklärte er. »Soweit ich mich erinnere, müssen wir den Graben überqueren, um zum Pfarrhaus von Jung-St. Peter zu
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