Die Magistra
er Titel und erste Seite. Es war ein verbotenes Buch.
»Gewiß nicht, junger Freund«, ließ sich die hohe Greisenstimme vernehmen. »Maria war weder Rottmanns erste noch seine einzige Frau. In jenen Tagen praktizierten viele Wiedertäufer die Vielweiberei des Alten Testaments. Schließlich sollten sie genügend Nachkommen in die Welt setzen, um die apokalyptischen Reiter und die Heerscharen des Jüngsten Gerichts zu unterstützen, sobald die Zeit gekommen war, Münster gegen die Ungläubigen zu verteidigen!«
»Ich vermute, diese Zeit kam rascher, als Rottmann erwartet hatte?« bemerkte Philippa und warf Bernardi einen nachdenklichen Blick zu. Sie erinnerte sich noch genau an den Tag, als der Buchhändler Bartholomäus ihr während einem seiner Besuche in Lippendorf vom Fall Münsters und dem grausamen Ende der Wiedertäufer berichtet hatte.
»Der Teufel mag sich noch so verstellen und sich anbiedern«, zitierte der alte Hausbart seufzend, »seine Füße wird er nie verbergen können!«
»Was geschah nun aber mit der Lepperin und ihrem … Ehemann?« drängte Philippa ungeduldig.
»Natürlich waren die ausgehungerten Kriegsknechte des Jan Bockelson der Übermacht des Bischofs gänzlich unterlegen. Zwei Tage lang mordeten und plünderten die Landsknechte, ohne daß der Bischof ihnen Einhalt gebot. Sie drangen in die Häuser ein, schleppten unsere Brüder auf die Straße und töteten sie mit Spießen und Schwertern. Das Pflaster des Prinzipalmarkts färbte sich rot vom Blut der Erschlagenen. Wer überlebte, den erwartete ein unbarmherziges Gericht, selbst wenn er dem Glauben der Wiedertäufer entsagte. Ich wurde nahe dem Aegidiitor geblendet und danach auf ewig aus Münster verbannt. Mit den Frauen ging man ein wenig milder ins Gericht. Den meisten wurde nach Einziehung ihrer Habe gestattet, das Heil in der Flucht zu suchen. Was sollte der Fürstbischof auch mit einer Stadt voller Witwen und Leichen anfangen? Ihm ging es allein um den Besitz seines Sprengels. Außerdem brauchte er Geld, um seine zahlreichen Söldner zu entlohnen.«
»Wollt Ihr damit sagen, Ihr habt die Lepperin niemals wiedergesehen?« Bernardi legte forschend seinen Kopf auf die Seite. Auf der Straße unter dem Fenster herrschte mittlerweile ein buntes Treiben. Frauen riefen sich etwas zu, ein Hund kläffte wild.
»Das möchte ich nicht behaupten! Kurz nachdem mich meine Vaterstadt wieder in Gnaden aufgenommen hatte, stand sie eines Abends vor meiner Tür. Ich konnte sie nicht sehen, aber mein Herz erkannte sie, noch ehe sie ein Wort an mich richtete. Das Gewand aus der Truhe gehörte ihr. Sie trug es bis zu dem Augenblick, als meine Gemahlin die Wehmutter holte. Leider verlor sie ihr Kind. Ich wollte, daß sie bei mir blieb, aber Maria lehnte ab. Sie erklärte, ihr Mann sei nicht unter den Gefallenen und Hingerichteten gewesen. Rottmann hatte demnach überlebt, doch Maria wollte sich endgültig von ihm und seinem unheilvollen Einfluß befreien. Sie ahnte, daß er nicht lange stillhalten, sondern unter falschem Namen und mit neuer Identität weiter danach streben würde, das Werk von Münster an einem anderen Ort zu vollenden!«
Philippa hob den Kopf. »Ich kann mir schon denken, was dieser Rottmann im Schilde führt. Das Reich der Wiedertäufer zu Münster wurde zerstört, weil Lutheraner dem Fürstbischof Waffenhilfe leisteten. In Rottmanns Augen kann dies nichts anderes als Verrat an seinem Propheten bedeuten.« Unruhig lief sie in der Stube auf und ab, die Hände verzweifelt zu Fäusten geballt. Ich hätte früher darauf kommen müssen, überlegte sie. Marias Scheu, über ihre Vergangenheit zu reden. Die Erregung, die sie ergriffen hatte, als sie von der Doppelehe des Landgrafen Philipp erfuhr. Maria mußte doch geglaubt haben, selbst in Wittenberg für alle Zeiten an ihren rachsüchtigen Ehemann und seine Träume von einem neuen Täuferreich gebunden zu sein. Vermutlich hatte sie sich nur in den Dienst der Lutherin begeben, um Rottmann, oder wie er sich nun auch immer nennen mochte, aufzuhalten. Das bedeutete jedoch auch, daß sie seine Pläne gekannt oder zumindest erraten hatte.
»Angeblich soll bereits ein Nachfolger des hingerichteten Königs von Münster gefunden worden sein«, erklärte der Blinde in beinahe schwärmerischem Tonfall. »Rottmann wird ihm den Weg bahnen, wie er es einst als Worthalter in Münster getan hat. Zunächst wird er Wittenberg und Genf von den Lehren der Reformatoren reinigen, zuletzt jedoch an der Spitze
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