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Die Magistra

Die Magistra

Titel: Die Magistra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guido Dieckmann
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daß sie sich zu rühren wagte. Nach einer Weile wandte er sich an seine Frau: »Du warst doch heute morgen bei der Schulmeisterin? Heilen ihre Wunden gut?«
    »Die Wunden der Schulmeisterin heilen bedauerlicherweise kaum, Martin. Der Wundarzt wollte mich gar nicht zu ihr in die Krankenstube lassen. Er hat meine Kräuter auf der Treppe entgegengenommen und gesagt, es sei ein besonders schwerer Sturz gewesen. Wir müssen Geduld haben und auf die Gnade des Herrn vertrauen!«
    »Warum mußte das leichtsinnige Weib seine Wäsche auch auf der schmierigen Kupfermauer aufhängen!« erklärte Martin Luther ohne Mitleid. »Damit wäre die Wittenberger Mädchenschule bis auf weiteres ohne Aufsicht.« Er bedachte Philippa mit einem weiteren forschenden Blick. »Es sei denn, wir fänden eine ebenso fromme wie gebildete junge Dame, die unsere Schulmeisterin würdig vertreten könnte.«
    Katharina schlug die Hände zusammen und seufzte. »Ich weiß, worauf du hinauswillst. Doch ich hoffte, du würdest mir Philippa für die nächste Zeit im Haus lassen, damit ich ihre Erziehung abrunden kann.«
    »Doktor Luther, darf ich Euch daran erinnern, daß Eure Nichte dem adeligen Stand angehört«, gab der Schreiber zu bedenken. »Die Ratsherren werden Euch zweifellos zu ihrem Vormund bestellen, damit Ihr dem Mädchen einen standesgemäßen Ehemann …«
    »Alles zu seiner Zeit, Freund Lupian«, fiel Luther seinem Schreiber ins Wort.
    Seine Miene deutete an, daß er nicht gewillt war, die Diskussion um Philippa von Boras Zukunft auf der Türschwelle weiterzuführen. Er schaute Philippa an. »Ich werde die Angelegenheit mit Melanchthon und den Schöffen besprechen, Nichte. Seid in zwei Tagen Gast an meiner Tafel, dann werdet Ihr alles weitere erfahren!«
    »Ich danke Euch, Onkel«, beeilte sich Philippa zu versichern. »Ihr wißt gar nicht, wie …«
    »In der Zwischenzeit solltet Ihr vielleicht den Rat Eurer Tante beherzigen und an Eurer Erziehung als Tochter eines Edelmannes arbeiten. Die Welt der griechischen Philosophen und italienischen Poeten mag Euch interessanter erscheinen als Webrahmen und Spinnrad, dennoch hat Gott unserer Welt eine Ordnung gegeben. Non omnia, quae dolemus, eadem queri iure possumus . Ich für meinen Teil möchte den Tag nicht erleben, an dem ein Mensch, der unter meinem Dach lebt, dieser Ordnung zuwiderhandelt!«
    Mit diesen Worten verschwand der Reformator im Hausflur. Melchior Lupian folgte ihm eilig.
    »Dein Onkel verfügt über eine ausgezeichnete Menschenkenntnis, meine Liebe«, sagte Katharina und legte Philippa vorsichtig einen Arm um die Schulter. »Wenn er der Meinung ist, daß du unterrichten solltest, würde ich dies als Auszeichnung verstehen.«
    »Das tue ich auch, Tante. Aber Lupian sprach davon, daß Eure Stadträte darauf bestehen könnten, mich in Wittenberg zu verheiraten.«
    Katharina Luther zog ihren Arm zurück und blickte ihre Nichte erstaunt an. »Du bist Nikolaus von Boras Tochter und somit adeliger Herkunft. Was hast du erwartet? Daß die Universität dich zur Magistra auf Lebenszeit promoviert?«
    Philippa hätte ihrer Tante eine ehrliche Antwort geben können, doch sie ahnte, daß Katharina ihre Entgegnung nicht gefallen hätte. Was aber erwartete die Lutherin tatsächlich von ihr? Daß sie ihr Leben hinter diesen Mauern beschloß? Möglicherweise als Gemahlin eines Mannes wie Melchior Lupian?
    An den Frauen ratterte ein Wagen vorüber, der bis zum Rand mit Bauholz beladen war. Er hielt auf den Flügel mit dem Gerüst zu. Philippa drehte sich langsam um und folgte dem Fuhrwerk mit ihren Blicken. Auf der obersten Plattform des Gerüsts standen zwei Arbeiter und befestigten eine Winde, um Holzplanken nach oben befördern zu können. Unten stand ein älterer Mann mit Lederschürze, der aufgeregt gestikulierte und die beiden anderen – offenbar seine Gesellen – lautstark beschimpfte, schlechte Knoten in die Seile gemacht zu haben. Katharina ließ Philippa stehen und eilte über den Hof, um den Handwerksmeister zu beschwichtigen.
    »Glaubt bloß nicht, Ihr könntet vor mir verbergen, was Ihr denkt, mein Herz!« Roswithas Stimme klang beunruhigend sanft. »Warum wollt Ihr nur immer mit dem Kopf durch die Wand? Jeder Mensch braucht ein behagliches Plätzchen hinter dem Ofen, wenn es kalt wird und der Frost ihm Beulen an die Zehen treibt. Wir sollten uns in Wittenberg einrichten und die Vergangenheit begraben!«
    Philippa wandte sich Roswitha zu. Die alte Amme erwartete, daß ihr

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