Die Magistra
Ziehkind etwas erwidern würde, und machte, auf Wut und Trotz gefaßt, einen Schritt zurück, doch Philippa schwieg.
9. Kapitel
Die zarten Sonnenstrahlen des Tages waren längst hinter graugrünen Wolken und fahlem Nebel verschwunden, als Philippa das Anwesen ihrer Verwandten verließ und sich zu Fuß in Richtung Stadtmauer aufmachte. Ihr Ziel war der Freihof, ein kleines Gut mit Fischweihern und Obstgärten, das Katharina Luther bald nach ihrer Eheschließung erworben hatte und das sie seitdem von einigen Knechten und Mägden bewirtschaften ließ.
Philippa bog in die Collegienstraße ein, eine kurze Strecke, die über den Marktplatz zum Schloß des Kurfürsten führte, hielt sich jedoch nach wenigen Schritten in nördlicher Richtung. Auf der Straße zum Elstertor herrschte ein reges Treiben. Krämer strömten mit vollbeladenen Karren scherzend und lachend ihren Marktbuden entgegen, um Käse, Fische, Wein, Tuche und Tongeschirr feilzubieten. Burschen mit spitzen Lederhüten trieben Ochsen und Kälber über das holprige Pflaster und wurden von Lehrlingen geneckt, die vor den Werkstätten ihrer Herren standen und obszöne Verrenkungen machten. Gleich am Marktbrunnen knoteten ein Gürtler und seine Frau breite Ledergürtel für Männer und lange Schärpen aus roter, gelber und violetter Seide für Damen an das vorspringende Holzdach seines Ladens. Dazwischen schoben sich junge Frauen, die Wassereimer vom Brunnen in die Höfe ihrer Anwesen schleppten, sowie Musikanten in grasgrünen Wämsern und Scholaren, die sich um die Auslage eines wandernden Buchhändlers scharten oder die Mädchen am Stadtbrunnen beobachteten.
Die Universität hatte wegen der anstehenden Reise ihrer wichtigsten Gelehrten nach Schmalkalden einen Feiertag anberaumt, der nicht nur die Studenten aus ihren kärglichen Bursen, sondern auch zahlreiche Händler, Gaukler und anderes fahrendes Volk auf die Gassen und Plätze lockte. Am späten Nachmittag sollte zu Ehren der freien Reichsstände und des Abgesandten Landgraf Philipps von Hessen ein festlicher Umzug vom Schloß bis zum Schwarzen Kloster stattfinden, doch schon zu dieser Stunde duftete es aus den Höfen angenehm nach gebratenem Fleisch, Kräutern und frischem Zuckerkuchen.
Die Zimmerleute, Drechsler und Steinmetze an der großen, schlammigen Baugrube schienen die einzigen in der Stadt zu sein, die ihrem geregelten Tagwerk nachgingen.
Philippa eilte weiter, den Blick unbeirrt auf die beiden hohen Kirchtürme gerichtet, welche das abgezäunte Ende des Saumarktes andeuteten. Da sprang plötzlich ein dürrer Kerl mit schulterlangen, verfilzten Haaren hinter einer Tonne hervor und versperrte ihr den Weg. Seine rechte Hand umklammerte einen kleinen, braunen Gegenstand.
Erschrocken wich Philippa zurück. Hinter ihr hörte sie leises Getuschel und das Geräusch eines Eimers, der über den Brunnenrand schleifte.
Der Atem des Mannes stank nach Wein, seine Augen waren rotgeschwollen. Am schlimmsten aber war, daß er Philippa anstarrte, als wäre sie ein Huhn, das sich vor ihm am Bratspieß drehte. Noch ehe sie in der Menge Schutz suchen konnte, schwang der Mann ein leeres Tongefäß über seinem Kopf und ließ es unmittelbar vor Philippa in eine Wasserlache fallen. Der Becher zerbrach in tausend Scherben. Als das schmutzige Wasser den Saum ihres Gewandes benetzte, lachte der Trunkenbold hämisch auf und begann mit schwerer Zunge, einen Spottreim zu singen und nach ihr zu greifen.
Einen Herzschlag lang war Philippa vor Schreck wie gelähmt. Erst als sie in die Gesichter der Umstehenden blickte, die den anzüglichen Versen entweder teilnahmslos oder spöttisch grinsend zuhörten, siegte die Wut über ihre Angst.
»Macht nur so weiter!« rief sie. »Der Branntwein hat Euch bisher offensichtlich wenig Glück gebracht, die Scherben Eures Bechers werden es erst recht nicht tun!« Resolut stieß sie den Fremden zurück und drängte sich durch das Spalier der Schaulustigen.
Mit raschen Schritten bog sie um die Ecke, ohne sich noch einmal nach der gaffenden Menschenmenge am Platz umzuschauen. Mochten die Leute ihre Köpfe zusammenstecken und über die Fremde lachen, es bedeutete ihr nichts. Hinter der Marienkirche blieb Philippa einen Augenblick stehen. Verstohlen blickte sie über die Schulter. Wenn nur die Tante und Roswitha nichts von dem Zwischenfall erfuhren. Die beiden Frauen hatten gewiß wenig miteinander gemeinsam, aber doch soviel, daß sie ein Gezeter veranstalten und ihr verbieten würden,
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