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Die Magistra

Die Magistra

Titel: Die Magistra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guido Dieckmann
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gepackt, das ihre Schläfen zum Klopfen und das Blut in ihren Ohren zum Rauschen brachte. Philippa mußte sich am Türgriff der Badestube festhalten, um nicht zu straucheln. Dicke Schwaden von Dampf und trockener Hitze schoben sich an ihr vorbei ins Freie.
    Katharinas Mägde müssen ganze Wälder in den Ofen gesteckt haben, um der Stube derart einzuheizen, dachte Philippa und atmete tief durch. Wenigstens hatte sie keine zechenden und würfelnden Männer mehr im Bottich vorgefunden. Sie bemerkte gar nicht, daß Roswitha sich über sie beugte und ihr forsch in die geröteten Wangen kniff.
    »Das alte Weib in meiner Kammer ist einfach unausstehlich«, greinte die Amme, kaum daß Philippa sich ein wenig gefangen hatte.
    »Du redest von meiner Großtante? Eigentlich hätte ich ihr längst meine Aufwartung machen müssen.« Die beiden Frauen setzten sich auf eine Bank nahe der Mauer zum ehemaligen Klosterfriedhof. Der Wind verteilte den schweren Geruch von Dung und feuchter Blumenerde über dem Anwesen. Philippa suchte den Vorhof nach ihrer Tante ab, entdeckte aber nur ein paar Dienerinnen, die um ein Faß herumstanden und Fische in Pökelsalz eintauchten. Danach spießten sie die salzigen Klumpen entlang der Grubenmauer auf etwa fünf Fuß lange Stecken, um sie vom Wind trocknen zu lassen.
    »Ich versichere Euch, diese Muhme ist nicht mehr bei klarem Verstand«, fuhr Roswitha fort. »Philippa, mein Herz, Ihr solltet einmal die Unterkleider der Alten sehen. Sie hängt ihre Lumpen jede Nacht zum Ausdünsten über ein Seil, das sie quer durch die Stube spannt. Man kommt sich vor, als würde man in einer Gruft schlafen! Mein Gefühl von Anstand verbietet es mir, Euch Einzelheiten zu nennen.«
    Philippa gab sich bald keine Mühe mehr, ihrer greinenden Amme zuzuhören. Statt dessen schloß sie ihre Augen und ließ sich von den ersten, zaghaften Strahlen der Frühlingssonne wärmen. Der Winter hatte dieses Jahr zu lange gedauert. Die Dunkelheit der vergangenen Monate war, so schien es ihr, auch in so manche Seele eingedrungen und hatte von ihr Besitz ergriffen, ohne daß sie sich hatte wehren können. Versonnen strich Philippa über das dunkelblaue Kleid mit dem verspielten Blumenmuster, das sie für ihren ersten Tag in Wittenberg ausgewählt hatte. Sie hatte ihre Stube gleich nach dem Morgenläuten verlassen und in der Küche erfahren, daß ihre Tante bereits in aller Frühe in die Stadt gegangen war, um die erkrankte Schulmeisterin zu besuchen. An dem einfachen Frühstück hatten indessen zwei von Katharinas Kindern teilgenommen, die bereits von ihrer Mutter über die neue Verwandte im Haus unterrichtet worden waren. Der elfjährige Johannes, der eine Lateinschule besuchte, hatte nur mäßiges Interesse an Philippa gezeigt und sich mit einer Schale Milch auf die mit Fellen ausgelegte Kaminbank zurückgezogen, wo er einige griechische Vokabeln wiederholte. Die kleine Margarethe hingegen war sofort auf Philippas Knie geklettert, um sich fröhlich krähend schaukeln zu lassen.
    »Herrin, Ihr müßt Euch erheben! Rasch!«
    Philippa spürte, wie Roswitha grob an ihrem Ärmel zerrte. Was um alles in der Welt war nun schon wieder nicht in Ordnung? Sie schirmte ihre Augen mit der Hand gegen die Sonne ab und beobachtete, wie zwei Männer eilig über den Hof liefen. Sie hielten auf den Uhrturm zu. Der ältere von beiden, ein untersetzter, aber würdevoller Mann, mußte ihr Onkel Martin Luther sein. Neugierig spähte sie zu ihm hinüber.
    Ihr Onkel ging leicht gebückt, die Schultern nach vorne abfallend, als zöge er einen Sack hinter sich her. Außerdem hinkte er ein wenig. Seine fein gerundeten Lippen und das kräftige Kinn verrieten Kompromißlosigkeit und Durchsetzungsvermögen, die zerfurchte Stirn über den wachsamen, dunklen Augen dagegen Intelligenz und Lebenslust.
    Die Männer waren im Begriff, das Haus zu betreten, als Luthers Begleiter auf die beiden Frauen an der Ostmauer aufmerksam wurde. Er deutete verstohlen in ihre Richtung.
    »Wir müssen Eurem Oheim entgegengehen, Herrin«, erklärte Roswitha mit fester Stimme. »Es gehört sich nicht, den Hausherrn zu uns kommen zu lassen!« Philippa brachte ihren Schleier in Ordnung und beeilte sich, Roswithas Aufforderung nachzukommen. Die beiden Männer waren auf den Treppenstufen des Portals stehengeblieben.
    »Eure Tante hat mich gestern noch zu später Stunde über Eure Ankunft unterrichtet, Philippa von Bora«, rief Martin Luther freundlich und ergriff Philippas Hand. »Ich

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