Die Magistra
nicht an die Untersuchungen, die vor einigen Jahren im Auftrag des Johannes Pfefferkorn angestellt wurden?«
»Solltet Ihr denselben Pfefferkorn im Sinn haben wie ich, so vergeßt Ihr, daß dieser nichts anderes als eine Marionette in den Händen der Dominikaner zu Köln war. Die Mönche versuchten, von den üblen Machenschaften ihres Priors abzulenken, indem sie die Juden der Gotteslästerung beschuldigten. Ein Vorwurf, der nach geltendem Recht nicht haltbar war.«
»Nicht haltbar?« rief einer der städtischen Patrizier zweifelnd. »Warum?«
»Kein Geringerer als der bekannte Rechtskundige Reuchlin wurde vom Prior der Mönche zu Köln beauftragt, ein Gutachten zu erarbeiten. Doktor Luther kennt diese Schrift, er hat sie höchstpersönlich vom Katheder herab verlesen. In seiner Arbeit weist Reuchlin nach, daß Gotteslästerung nach dem Kirchenrecht der Ketzerei zuzuordnen ist. Juden aber können keine Ketzer sein, da sie nicht an die heilige Dreifaltigkeit glauben und zu keiner Zeit in deren Namen getauft wurden!«
Wolfger hielt sein Glas so fest in der Hand, daß Philippa befürchtete, es könnte in seinem Griff zerspringen. Einige Herzschläge lang war es still im Saal. Die Musikanten hatten längst aufgehört zu spielen und beugten sich mit verschränkten Armen über das hölzerne Geländer der Galerie.
»Dieser Reuchlin, auf den Ihr so große Stücke haltet, hat sich und der christlichen Welt keinen guten Dienst erwiesen«, stieß Wolfger aufgebracht hervor. »Ich habe von seiner Verteidigungsschrift, dem Augenspiegel, gehört. Zweifellos wurde er von den Frankfurter Juden bestochen, ein günstiges Urteil zu fällen! Doch als sich die Inquisition des Streites annahm, hat der große Gelehrte schnell seinen Schwanz eingezogen!«
Verschämte Blicke richteten sich nun auf Philipp Melanchthon, der bleich und reglos neben seiner Frau saß und auf einen der Wandbehänge starrte. Jedermann im Saal wußte von Melanchthons verwandtschaftlicher Beziehung zu dem ehemals so bedeutenden Pforzheimer Humanisten.
»Das ist nicht wahr!« rief Bernardi. Ihn hatte der Vorstoß des Eidgrafen nicht eingeschüchtert. »Reuchlin hat dem Pfefferkorn vierunddreißig Fälschungen nachgewiesen. Der Betrüger brach indessen das Siegel am Gutachten des Pforzheimers, obwohl dieses für den Kaiser bestimmt war. Damit umging er die höchste Autorität des Heiligen Römischen Reiches, unseren Kaiser …«
Philippa begann zu schwitzen. Noch ehe Bernardi seinen Satz beendet hatte, bemerkte er seinen groben Fehler. Formal gesehen war er gewiß im Recht, Pfefferkorns ehrloses Verhalten gegenüber der Obrigkeit anzuführen, doch in einer Versammlung des Schmalkaldischen Waffenbundes, dessen Fürsten davon überzeugt waren, der gewählten Obrigkeit die Stirn bieten zu müssen, berief man sich nicht auf den Kaiser.
»Gut gesprochen, Magister«, höhnte der Eidgraf. »Als nächstes werdet Ihr mich darüber belehren, daß der Papst seine Hand über die Ungläubigen hält, weil deren verfluchter Wucher seine Schatzkammern ebenso füllt, wie die Kaiser Karls, nicht wahr?« Wolfger blickte triumphierend in die Runde. »Wer sagt uns, daß Ihr es nicht gegen uns mit dem Kaiser haltet?«
An der Tafel brach offener Tumult los. Die Vertreter der Reichsstädte verließen ihre Plätze und schüttelten aufgeregt ihre Fäuste in Bernardis Richtung. Philippa und ein paar der Damen hatten sich ebenfalls erhoben, ihre Augen vorsichtig auf die beiden Flügeltüren gerichtet, während die hessischen Waffenknechte des Eidgrafen, die in ihren glänzenden Brustpanzern die Ausgänge sicherten, argwöhnisch ihre Lanzen hoben.
»Ich bitte Euch, Ihr Herren, den Frieden dieses Hauses nicht zu stören«, rief Martin Luther und lief, so behende er konnte, auf das Podium zu. Beschwichtigend deutete er auf das Wappen des Kurfürsten, das er an der breitesten Wand hatte anbringen lassen, um den offiziellen Charakter seines Gastmahls zu unterstreichen, und beschied den Männern, sich wieder zu setzen.
»Mir scheint, der Disput hat den wissenschaftlichen Grund verlassen, um einen politischen zu betreten. Ihr mögt verzeihen, Graf, aber eine derartige Abweichung vom Thema entspricht nicht der humanistischen Gepflogenheit.«
»Spart Euch Euer Gelehrtengewäsch, Luther«, erwiderte Wolfger finster. »Ich wollte diesem unhöflichen Magister lediglich beweisen, daß die Beschäftigung mit jüdischen Schriften aus Euren Leuten Verräter macht.«
Martin Luther erstarrte. Ohne
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