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Die Magistra

Die Magistra

Titel: Die Magistra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guido Dieckmann
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sie sich mit Morast und Brackwasser. So mancher Fuhrmann kann dies bestätigen, wenn seine Räder versinken.«
    »Von Schlaglöchern rede ich nicht, lieber Doktor. Den Achsenbruch hätte ich leichter verschmerzt als die Tatsache, daß ein hergelaufener Ungläubiger es gewagt hat, meinen Zug bei Dessau zu überholen.« Das Lächeln des Grafen erlosch.
    »Ein … Ungläubiger?« fragte Melanchthon und setzte den Kelch, den er schon zum Munde geführt hatte, unvermittelt ab.
    »Ihr habt recht gehört, Herr. Der Jude trug Gewänder wie ein Fürst, eine Schaube aus Zobelpelz und Goldketten, die seinen dürren Hals beinahe bis zu den Knien zogen.«
    »Woran habt Ihr erkannt, daß der Reisende Jude war?« fragte ein älterer Mann mit grauem Bart auf der anderen Seite der Tafel.
    Wolfger von Hoechterstedt warf ihm einen verächtlichen Blick zu. »Sein gelber Ring auf der Brust flüsterte es mir geradewegs zu, mein Freund. Der Wagen des Juden bog übrigens auf die Straße nach Wittenberg ein. Der Kerl schien es recht eilig zu haben. Mein Waffenmeister versuchte zwar, ihn aufzuhalten …«
    »Unser Fürst hat die Niederlassungsfreiheit der Juden in Kursachsen im vergangenen Jahr aufgekündigt«, unterbrach ihn Melanchthon. »Die meisten von ihnen haben das Land inzwischen verlassen und sind nach Polen oder in die Territorien des Brandenburgers gezogen. Seitdem erhalten wir regelmäßig Schreiben von einflußreichen Juden, die Doktor Luther auffordern, sich für ihre Glaubensgenossen einzusetzen.«
    »Die Anordnungen Eures Landesherrn dürften doch wohl eindeutig sein, Herr Melanchthon«, wandte der Graubart ein. »Seit acht Jahren entrichten wir das Türkenregal, um die Horden des Sultans aus dem christlichen Abendland zurückzudrängen. Sollen wir auf der anderen Seite erlauben, daß jüdische Wucherer mitten unter uns leben, uns beim Handel übervorteilen und letztlich ihr Geld den Türken zukommen lassen, um uns zu vernichten?«
    »Eure Meinung über den Wucher teile ich, mein Freund.« Luther nickte. »Bedauerlicherweise gibt es in den deutschen Landen kaum einen Händler oder Bankier, der den Zinssatz nicht zu seinem eigenen Vorteil auszudehnen wüßte. In dieser Beziehung sind die Rechentische der Venezianer oder Lombarden nicht anders gebaut als die der Juden oder der Augsburger Fugger. Ich werde mich für keinen von ihnen mehr verwenden, mag der Josel sich auf den Kopf stellen!« Luther fuhr sich mit der rechten Hand über den Bauch, als erwartete er, daß dort gleich ein furchtbarer Schmerz ausbrechen würde. Eigentlich war es immer, wie Katharina stets behauptete: Schmerz und Ärger regierten seinen Leib.
    Der Eidgraf räusperte sich. Mit offenkundigem Genuß tauchte er seine Finger in ein silbernes Becken mit Lavendelwasser, das ein Diener kaum halten konnte, so schwer hatte er daran zu tragen. Ein beinahe heiteres Lächeln glitt über Wolfgers Züge. Er raunte dem Diener etwas ins Ohr, worauf dieser errötete, mehrmals nickte und schließlich den Saal verließ. Zufrieden lehnte sich Graf Wolfger in seinem Lehnstuhl zurück.
    »Ein Ahnherr meiner verehrten Gemahlin ließ einst in Frankreich alle Exemplare der schändlichen Judenbücher einsammeln und öffentlich verbrennen«, erklärte er mit fester Stimme. »Damit hat er sich das Problem vom Halse geschafft, und es wird höchste Zeit, daß wir im Reich seinem Beispiel folgen. Wie ich am Hofe zu Kassel hörte, nimmt die Zahl der Christen, die nach der Lektüre hebräischer Bücher beginnen, sich dem Judentum zuzuwenden, von Tag zu Tag zu. Sie gründen Gemeinden mit eigenen Predigern, manche lehren ihre Schüler gar, den Sabbat zu feiern und sich nach Judenart das Fleisch beschneiden zu lassen. Einige dieser Ketzer sollen einst eifrige Anhänger Eurer Lehre gewesen sein, Doktor Luther. Vielleicht solltet Ihr Euch Gedanken darüber machen, wie Ihr die evangelischen Universitäten vor diesen verfluchten Schwarmgeistern reinigen wollt, ehe wir nach Schmalkalden reiten und Eure Bekenntnisformel gegen den Kaiser unterzeichnen!«
    Verhaltenes Gemurmel zog durch die Reihen. Zustimmung erhob sich vor allem von den Plätzen der wenigen Männer, die im Zug des Eidgrafen in die Stadt gekommen waren und die freien süddeutschen Städte im Bund vertraten, während der Rektor der Leucorea, ein würdevoller Greis in blutrotem Talar, nervös eine Schale Obst vor sich hin- und herschob. Die französische Eidgräfin starrte wie ein aufgescheuchtes Reh in die Runde.
    Felix Bernardi

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