Die Magistra
interessiert Euch für die Kartographie?« fragte Philippa verwundert und erhob sich aus dem Kaminsessel, um sich die mit Zinnkrügen und einer silbernen Spielzeugkanone beschwerten Rollen zu betrachten. »Ich dachte, nur Seeleute ließen sich solche Karten zeichnen.« Es war ihr unangenehm, daß der Eidgraf ihr folgte. Sie spürte, wie ihr Herz gegen ihre Rippen pochte, dabei berührte Wolfger sie nicht einmal. Er stellte sich sogar auf die andere Seite der Tafel und zog das Pergament der größten Kartenrolle glatt, damit Philippa sie besser anschauen konnte.
»Als Knabe träumte ich davon, zur See zu fahren, Jungfer von Bora. Ich verschlang jeden einzelnen Bericht über die Entdeckungsfahrten der Spanier. Über die neuen Länder, die dieser Genuese auf seiner Fahrt nach Indien fand, und über die unermeßlichen Schätze, die dort noch immer auf uns warten.« Behutsam fuhr er mit seinem Zeigefinger die kunstvollen Linien nach, während sein Gesicht einen Ausdruck annahm, als berühre er die Haut einer schönen Frau.
»Die meisten Karten, die Ihr hier vor Euch seht, ließ ich von spanischen Zeichnern herstellen. Auf der Insel Mallorca gibt es die besten Kartographen der Welt. Ferdinand und Isabella von Kastilien waren Narren, daß sie dies nicht viel früher zu nutzen verstanden. Hätte man mir ein Schiff anvertraut, ich wäre niemals gescheitert!«
»Euer Vertrauen in Eure Fähigkeiten in allen Ehren, Graf, aber ich glaube nicht, daß unsere Männer zu Seefahrern geboren sind. Die Sachsen ebensowenig wie die Hessen«, erwiderte Philippa. »Ihr kämpft gemeinsam mit dem Kurfürsten gegen Papst und Kaiser, und ich schätze, dieses Vorhaben wird Eurem Landgrafen nicht die Mittel lassen, um eine Flotte in die Neue Welt zu entsenden!«
»So, glaubt Ihr!« Wolfger schlug plötzlich so heftig mit der Faust auf den Tisch, daß seine Karten sich vor ihm wie von Geisterhand zusammenrollten. »Ihr vergeßt, welche Macht unsere gute alte Hanse einst in ihren Händen hatte. Sicherlich waren ihre Koggen nicht geeignet für eine Fahrt weit übers Meer, doch fehlte es unseren Schiffsbauern keineswegs an Kenntnissen. Aber was rede ich darüber mit einer Frau, deren einziges Interesse darin liegt, kleinen Mädchen das Buchstabieren beizubringen?«
Er schritt zum Kamin zurück und goß aus einer Kanne dampfenden Wein in zwei Becher mit eingravierten springenden Hirschen. »Oder gibt es für Eure Anwesenheit im Schwarzen Kloster Gründe, die mir bisher entgangen sind?«
»Ich trinke keinen gewürzten Wein, Graf«, entgegnete Philippa kühl. »Überhaupt wäre ich Euch dankbar, wenn Ihr mir endlich den Grund für Eure unerwartete Einladung mitteilen würdet. Immerhin habt Ihr im Namen Seiner Durchlaucht des Kurfürsten gezeichnet!«
Wolfger von Hoechterstedt stützte sich mit dem Arm auf den Kaminvorsprung und sah sie ironisch an. Sein Blick wirkte so boshaft wie der eines Falken, der bereit war, sich auf seine Beute zu stürzen.
»Ich habe Kurfürst Johann Friedrich gebeten, Euch in seinen Torgauer Hofstaat aufzunehmen, Philippa«, erklärte er mit sichtlichem Vergnügen. »Ihr dürft mir glauben, wie begeistert er und seine Gemahlin von diesem Vorschlag sind. Es tut mir leid, aber vom heutigen Tag an ist Euer Beschützer nicht mehr unser streitbarer Doktor Luther.«
Das Lachen des Eidgrafen klang Philippa schrill und bösartig in den Ohren. Zum zweiten Mal innerhalb weniger Wochen war sie von einer plumpen Intrige überrumpelt worden. Wilde Wut stieg in ihr auf. »Aber warum … warum tut Ihr das, Graf Wolfger?« stammelte sie.
»Nun, ich glaube, daß Ihr Eure Fähigkeiten nicht als Schulmeisterin im Schwarzen Kloster vergeuden solltet. Ihr seid aus ehrbarem sächsischem Haus, wenngleich auch mittellos und von unserem Schöpfer nicht mit besonderem Liebreiz und Demut gesegnet. Doch in Zeiten, die so unsicher sind wie die unsrigen, sind gute Verbindungen wertvoller als Gold. Habe ich nicht recht?«
Nein, hast du nicht, dachte Philippa verstört. Sie hätte auf Bernardi hören sollen. Der Magister hatte sie davor gewarnt, Wolfgers Aufforderung nachzukommen.
»Wie konntet Ihr es wagen, einfach über meinen Kopf hinweg zu entscheiden?« herrschte sie den noch immer lächelnden Eidgrafen an. »Mein Onkel wird das niemals zulassen. Ich bin schließlich keine … keine Leibeigene!«
Plötzlich sprang Wolfger auf sie zu. Der Kelch mit dem heißen Würzwein fiel zu Boden, die rote Flüssigkeit benetzte den Saum ihres Rockes.
Weitere Kostenlose Bücher