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Die Magistra

Die Magistra

Titel: Die Magistra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guido Dieckmann
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Gott in diesem Feuer.‹ Das waren seine Worte gewesen. Ich höre sie heute noch zuweilen, ist das nicht sonderbar? Als ob der Wind sie aufgefangen hätte. Seitdem bin ich nie wieder hiergewesen.« Er bemerkte, wie der Stadthauptmann unruhig von einem Bein auf das andere trat. Verdammt, was tat er hier eigentlich? Der Wagenzug des Kurfürsten stand noch immer vor dem Tor, und er ließ sich von diesem Narren von Wachoffizier über die Felder führen. Plötzlich blieb er stehen. Der Schreck fuhr ihm durch alle Glieder. Keine zehn Schritte von ihm entfernt lag in einer Mulde ein menschlicher Körper.
    »Es ist eine junge Frau, Herr. Einer meiner Türmer hat sie von der Mauer aus entdeckt.« Aufgeregt deutete der Stadthauptmann auf die Gestalt, die im Nebel wie ein Bündel schmutziger Wäsche aussah. »Eigentlich fiel ihm nur der schwache Schein einer Lampe auf.« Suchend blickte er sich um. »Da ist sie ja, aber seid vorsichtig: Das Glas ist zerbrochen!«
    »Laßt doch die verfluchte Lampe in Ruhe«, knurrte von Taubenheim schroff. Mit düsterer Miene ging er neben dem reglosen Körper in die Hocke und berührte ihn leicht an der Schulter. Der Kopf der Frau sackte zur Seite, als hätte ihn lediglich ein seidener Faden auf dem Rumpf festgehalten. Ihre Augen waren weit geöffnet und in einem Ausdruck des Entsetzens erstarrt. Anklagend blickten sie auf den verwitterten Vorbau der Kreuzkapelle, der seit Menschengedenken nicht mehr benutzt wurde. Vorsichtig hob von Taubenheim den Kopf der Toten an. Während seiner Zeit als Richter hatte er hin und wieder davon reden hören, daß die Augen eines Gemordeten zuweilen das Bild seines Mörders festhielten, aber er glaubte nicht recht daran. Die Tote war ihm fremd, und dennoch ließ ihn das Gefühl nicht los, sie schon einmal irgendwo gesehen zu haben.
    »Versteht Ihr nun, warum ich den Wagenzug aufhalten mußte?« vernahm er die klägliche Stimme des Stadthauptmanns. »Ich meine … es wäre doch möglich, daß der Mörder noch immer in der Nähe umherschleicht.«
    »In Gottes Namen, Ihr seid Hauptmann der Stadtwache. Also reißt Euch ein wenig zusammen. Außer uns ist hier keine Menschenseele!« Von Taubenheim nahm dem Offizier das Schwert aus der Hand und begann, mit dessen Spitze den Schlamm neben der Mulde mit der Toten zu durchsuchen. »Ein Soldat sollte an den Anblick eines Leichnams gewöhnt sein, obgleich …« Er beendete seinen Satz nicht. Nachdenklich blickte er auf das bleiche Gesicht der Toten, das von dichten, roten Haaren umrahmt wurde, und auf den klaffenden Schnitt, der ihre Kehle buchstäblich von Ohr zu Ohr durchtrennt hatte. Mit einer raschen Bewegung zog er das Schwert aus dem Morast. Ein kleiner, blitzender Gegenstand hatte sich um die Spitze geschlungen. Vorsichtig ließ der Kanzler ihn in seine Hand gleiten. Es war eine mit Lehm verschmierte Kette, an der ein verbeultes Medaillon hing. Die Schrift auf der Umrandung war im Dämmerlicht schwer zu entziffern.
    »Habt Ihr etwas gefunden, Herr?« Der Offizier trat näher, um von Taubenheim über die Schulter zu sehen. Obgleich der Regen nachgelassen hatte, rann das Wasser noch immer in wahren Sturzbächen von seinem Helm.
    »Lauft zum Tor zurück, Hauptmann, und gebt unverzüglich Befehl, den Wagenzug unseres Herrn passieren zu lassen!«
    »Der Kurfürst wird nach dem Grund für den unvorhergesehenen Aufenthalt fragen. Soll ich ihm von unserer Entdeckung Bericht erstatten?«
    Der Kanzler schüttelte den Kopf. Die junge Frau war tot, und ihr Mörder hatte sie an genau derselben Stelle abgelegt, an der Luther einst die gefürchtete Bannandrohung verbrannt hatte. Aber rechtfertigte allein dieser Umstand bereits den Verdacht, die Tat könnte mit den Bündnisversammlungen von Schmalkalden in Zusammenhang stehen? Von Taubenheim starrte auf das Medaillon. Ihm allein hatte man die Sicherheit seines Fürsten sowie den ordentlichen Ablauf der Versammlung anvertraut, und er würde tun, was er konnte, um seiner Verantwortung gerecht zu werden. Weder Johann Friedrich von Kursachsen noch Doktor Luther durften von dem Vorfall erfahren. Nicht, solange die Verhandlungen mit Philipp von Hessen und den süddeutschen Ständen vor ihnen lagen. Der Stadthauptmann mußte wohl oder übel allein mit der Aufklärung der Bluttat fertig werden, bis sie aus dem Thüringischen zurückgekehrt waren.
    »Eure Männer sollen die Tote in die Stadt schaffen, sobald der letzte Wagen vom Turm aus nicht mehr zu sehen ist«, entschied der Kanzler.

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