Die Magistra
Er gab dem Stadthauptmann sein Schwert zurück und steckte das Medaillon ein.
Der Offizier neigte militärisch knapp den Kopf, erleichtert, daß der kurfürstliche Kanzler ihn mit einem genauen Befehl entlassen hatte, und wandte sich um. Er hatte bereits die Kreuzkapelle hinter sich gelassen, als von Taubenheim ihm hinterher rief: »Das Schwarze Kloster!«
»Was sagt Ihr, Herr?«
»Mir ist soeben eingefallen, wo ich die Tote schon einmal gesehen habe! Es war bei Doktor Luthers Gastmahl, vor einigen Tagen im Schwarzen Kloster. Sie muß in Frau Katharinas Diensten gestanden haben.« Von Taubenheim zog das Medaillon hervor und warf es dem Hauptmann zu. »Findet die Person, der dieses Medaillon gehört. Es ist viel zu kostbar für eine einfache Magd. Folglich …«
»… kann es nur unserem Mörder gehören«, bestätigte der Stadthauptmann mit Nachdruck und schlug in großer Eile den Weg zum Stadttor ein.
14. Kapitel
Der Stadthauptmann ließ die Leiche der ermordeten Frau auf einem Bauernkarren in die Stadt schaffen und sorgte dafür, daß sie im Kellergeschoß des Rathauses aufgebahrt wurde. Anschließend schickte er nach dem städtischen Medicus, der ein Leibzeichen von der Toten nehmen sollte, und nach Katharina Luther. Die Lutherin identifizierte die Tote als ihre Dienstmagd Maria Lepper, doch viel mehr wußte sie dem Schreiber nicht zu Protokoll zu geben.
»Ich nehme auf meinen Eid, daß ich die Lepperin nach dem gestrigen Abendläuten nicht mehr im Hause angetroffen habe«, diktierte sie nervös, während die Totenwäscherin und der Medicus sich gemeinsam über den leblosen Körper auf der Bahre beugten und ihm zwei kleine Kupfermünzen auf die erstarrten Augen legten.
***
Die grausige Neuigkeit verbreitete sich in Windeseile in den Gassen. Auf dem Marktplatz steckten die Krämerinnen ihre Köpfe zusammen und rätselten darüber, wem die Magd der Lutherin draußen bei der Kreuzkapelle wohl begegnet war. Einige wollten von einem geheimnisvollen Liebhaber wissen, der das dumme Ding aus der Stadt gelockt hatte, um anschließend über sie herzufallen. Aber Liebhaber ermordeten ihre Gespielinnen für gewöhnlich nicht. Es sei denn, der Mann war von Stand und wollte sich durch sein Verhältnis mit einer Dienstmagd nicht dem Gerede aussetzen.
»Für mich ist das Teufelswerk«, verkündete eine Hafnerin aus der Töpferstraße in einem Ton, der keinen Widerspruch zuließ. »Diese Mägde sind doch vorwitziger als Amseln im Kräutergarten. Und vor dem Elstertor liegt die Feuerstelle, wo vor weniger als zehn Jahren die Kleider der Pestopfer verbrannt wurden. Welche ehrbare Frau geht nach Einbruch der Dunkelheit vor die Mauern, wenn sie es nicht mit dem Leibhaftigen hält?«
»Ich glaube, die Hafnerin hat recht«, pflichtete ihr Nachbar der Frau bei. »Einer der Torwächter ist der Sohn meiner Schwester. Von ihm weiß ich, daß die Magd fast ausgeblutet war. Keinen Tropfen Blut mehr im Leib, und von der alten Barle fehlt noch immer jede Spur. Ich werde jedenfalls in Zukunft einen großen Bogen um das Schwarze Kloster machen!«
***
Philippa kehrte noch am selben Abend überstürzt ins Haus ihrer Tante zurück. Sie hatte die Kurfürstin persönlich aufgesucht und um Erlaubnis gebeten, das Schloß zu verlassen. Die Fürstin, eine milde alte Dame, die ohnehin nicht wußte, was sie mit der aufgebrachten jungen Landadeligen anfangen sollte, hatte ihr sogleich Audienz gewährt und nach einem kurzen, höflichen Wortwechsel einen Diener zur Begleitung mitgeschickt.
Wolfger von Hoechterstedt ließ sich den ganzen Tag nicht blicken, und Philippa hoffte inständig, daß er gar nicht erst auf die Idee kam, sich ihr in den Weg zu stellen. Sie machte sich schwere Vorwürfe. Sie hatte genau gespürt, daß Maria sich in Gefahr wähnte, und hatte doch nichts unternommen, um herauszufinden, was ihrer Gehilfin so viel Angst einjagte. Nun war es zu spät.
In der Studierstube ihres Onkels traf Philippa nicht nur auf Katharina und Lupian, die irgendwelche Urkunden aus dem Durcheinander auf Luthers Schreibtisch heraussuchten, sondern zu ihrer Überraschung auch auf Felix Bernardi. Als er Philippa sah, erhob er sich von seinem Stuhl und maß sie mit einem besorgten Blick. Er sah krank aus. Seine Stirn glänzte wie eine Eisschicht in der Sonne.
Philippa straffte ihre Schultern und bemühte sich um einen aufrechten Gang, doch sie konnte nicht verbergen, wie elend ihr zumute war. Als Katharina sie umarmte und ihr in einer mehr
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