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Die Maikaefer

Die Maikaefer

Titel: Die Maikaefer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Burkhard Driest
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war grau, und es war so feucht, als würde es jeden Augenblick anfangen zu regnen. Bruno und Hotte lagen noch da, aber nicht so, wie sie vorher gelegen hatten, sondern quer zueinander. Auf dem Hof standen – auch quer zueinander – zwei Panzer. Sonst war alles ruhig. Eine Gänsefeder schwamm in der Pfütze neben Hottes Kopf. Es sah aus, als wüchse sie aus seinem Ohr. Ich dachte, wie kalt es für ihn sein musste, denn sein langer Militärmantel war fort. Steif ging ich die Stufen hinunter. Als ich Brunos Füße sah, stockte ich für einen Moment. Erst jetzt wurde mir bewusst, dass ihm einer der Russen seine Stiefel ausgezogen hatte. Ein Mongo, der aus Russlands Eiswinter gekommen war, keine Schuhe besessen hatte und bis hierher Fußlappen hatte tragen müssen. Ich ging zwei Schritte weiter und beugte mich zu Hotte hinab. Sein Gesicht hatte sich verändert. Letzte Nacht war noch Frost gewesen, aber heute Morgen taute es. »Hotte«, sagte ich leise, doch trotz seines aufgetauten Gesichtes antwortete er nicht. Auch schlief er nicht, denn seine Augen waren offen. Ich bückte mich und steckte ihm den Knopf in die Hosentasche.
    Aus der Ferne hörte ich schweren Geschützlärm.
     
    Dagi und ich zogen unsere nassen Schuhe und Hosen an, um dabei zu sein, wenn Hottes Leiche beerdigt würde. Meine Mutter hob die Grube mit aus und lächelte uns immer wieder zu. Dagi und ich beteten und weinten.
    Danach gingen wir zurück. Meine Mutter wurde in die Kommandantur gerufen. Dort wurde sie zur Feldarbeit eingeteilt und half, die Saat auszubringen. Sie freute sich darüber und meinte, säen sei angenehmer als beerdigen.
    Auch ich hatte Glück, denn mich ernannte Rübezahl zum Kuhgehilfen, und ich konnte im Kuhstall sogar beim Buttern helfen. Weil die Zentrifuge kaputt und auch die Handkurbel an der Holztonne abgebrochen war, mussten wir die Sahne in Kannen schütteln. Anfangs konnte ich mir nicht vorstellen, dass durch das Schütteln Butter entstehen würde, aber nach stundenlanger geduldiger Arbeit fischte auch ich einige kleine Klumpen aus der Kanne. Von da an war mein einziger Gedanke, wie ich einige der Klumpen an mich bringen könnte, um sie meiner Mutter abends zu servieren.
    Es gab für mich noch eine zusätzliche Beschäftigung, weil der Wasserzulauf zum Kuhstall defekt war, und Max Wendt, der wieder arbeitete, ein paar Tage für die Reparatur brauchte. Ich half also, die Kühe morgens und abends zu einem Bach auf der großen Kuhweide zu treiben, der jetzt im Frühjahr viel Wasser führte.
    Eckhard und ich waren dabei gern gesehene Helfer, weil der Schweizermeister verschleppt und Bruno erschossen worden waren. Ich hatte großen Spaß beim Treiben der Herde und lief wie ein Hirtenhund hin und her. Die Begleitmusik war immer noch der ferne Geschützdonner, der tagsüber kaum nachließ. Wenn der Wind ihn herüber trug, konnte man ihn auch im Haus durch die klappernden Fensterscheiben hören. Manche wollten am heftigen Klirren der Scheiben das Erstarken des deutschen Gegenangriffs ablesen und meinten, bald würden wir befreit werden, aber es gab auch einige, die dem widersprachen und behaupteten, die große Wende und der Endsieg würden nur durch den Einsatz der V2 erreicht werden. Für mich waren das alles unbegreifliche Worte, denn ich hatte überhaupt keine Ahnung, wie es um den Krieg stand.
    Manchmal passierte es, dass in das ferne Kanonengrollen sehr nahe russische MGs hinein knatterten. Dann blieben wir angespannt stehen und jeder hörte auf zu arbeiten, denn wir alle wussten, dass die Russen rücksichtslos in der Gegend herumballerten und der Wodka der wahrscheinliche Grund dafür war, nicht aber der erstarkende deutsche Widerstand. Daher wurde uns dauernd eingeschärft, außerhalb des Gutes sehr vorsichtig zu sein. Jeder von uns hatte schon erlebt, dass für die Russkis lebende Zielscheiben eine interessante Abwechslung waren, auch wenn es sich nicht um Hühner oder Schweine handelte.
    Während die Kühe das Wasser schlürften, erzählte immer einer der Kuhjungen Grausamkeiten, die an Kindern begangen worden waren. Großen Eifer entwickelte Rupert dabei. Von Mal zu Mal steigerte er sich, und jedes Mal musste es nicht nur grausamer oder unbegreiflicher, sondern uns das Geschehene auch näher sein. Am eindrucksvollsten wäre es also gewesen, wenn das, was er erzählte, grad eben und neben uns passiert wäre.
    Diesmal handelte seine Geschichte von einem kleinen Jungen, der all die freundlichen Fragen eines russischen

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