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Die Maikaefer

Die Maikaefer

Titel: Die Maikaefer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Burkhard Driest
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auch nicht helfen. Wir hockten im Zimmer, und Hotte leistete uns Gesellschaft, weil Max Wendt krank war. Seine Tochter Kathrin hatte die Vergewaltigungen durch die Mongolen überlebt, lag aber mit schlimmen Verletzungen im Bett. Was in Max Wendt vorging, wusste keiner, weil er nie viel redete. Hotte erzählte, dass er den Kopf nicht bewegen konnte, seine Zunge von einem dicken, weißen Belag überzogen war, der ihm sogar die Kehle verstopfte. Er aß und trank nicht. Wie seine Tochter lag er den ganzen Tag im Bett. Alleine konnte Hotte die Schmiedearbeiten nicht machen. Um Kathrin tat es mir leid, um ihren Vater Max auch, aber für Dagi und mich war es schön, dass Hotte da war, denn sonst hätten wir uns ziemlich gelangweilt.
    Wir hatten eine Menge Spaß mit ihm, weil er nicht diktierte, was wir zu tun hatten, sondern uns fragte und die Spiele mit uns spielte, die wir mochten. Mir gefielen am meisten Zeichenspiele. Jeder musste einmal laut sagen, was er gerade malte, und die anderen rieten, was es war. Wenn wir keine Zettel mehr hatten, machten wir eine Zetteljagd durch das Haus, und wer das meiste Papier brachte, wurde Papierkönig. Wenn wir erst einmal richtig in Fahrt waren, vergaßen wir alles um uns herum. Dann kam stets Hottes große Stunde, in der er uns durch Witze und Vorführungen zum Lachen brachte. Er hatte nicht nur Wagemut, sondern auch Humor und Einfallsreichtum. Besonders nett ging er mit Dagi um. Sie liebte ihn abgöttisch und sagte sogar einmal, sie würde für ihn in den Kuhstall gehen und Milch holen. Das war wirklich ein großes Kompliment, denn für niemanden sonst hätte sie so viel Mut aufgebracht. Daher übernahm sie auch bereitwillig die Wache am Fenster, wenn Hotte es wünschte. Das war eine Idee von ihm, weil er meinte, Rübezahl habe sicher gute Absichten, aber es sei noch Krieg, und der Krieg sei nicht eine Versammlung guter Absichten. Er sagte auch: »Der Teufel hat seinen Platz in den Menschen, und das nennt man das Böse. Der Teufel hat auch seinen Platz in der Gesellschaft, und das nennt man die Ausbeutung. Und der Teufel hat seinen Platz unter den Völkern, und das nennt man den Krieg. Hat Rübezahl Einfluss auf die Völker?« Dann mussten Dagi und ich »Nein« rufen, er grinste und sagte laut: »Richtig. Die Flammen des Krieges können jederzeit auflodern, die Funken können herüber sprühen, der Himmel kann mit Feuer auf uns niederfallen.« Ich dachte, was er über die Flammen des Krieges wusste, hatte er in der Schmiede gelernt, und er begleitete es auch mit den großen Gesten eines Schmiedes und allerlei feurigen Bewegungen, er, der sonst so bedächtig war. »Daher sind Angriffen jederzeit möglich«, folgerte er kühl. »Und damit wir die rechtzeitig ausmachen, brauchen wir einen Wachposten am Fenster. Dagi, ab aufs Fensterbrett!«
    Dagi war begeistert, ich auch, und sie nahm gern den Beobachtungsposten ein.
    Ich hatte ihm vom kleinen Prinzen erzählt, und er wollte nun, dass wir die eine oder andere Geschichte vor Dagi wie im Theater aufführten. Zuerst wollte er die Schönheit aufführen. Dazu hatte er mich in eine Decke gewickelt und deklamierte mit großen Bewegungen: »Was ich da sehe, ist nur eine Hülle. Das Eigentliche ist unsichtbar!« Dann wurde sein Ton klagend. »Meine Augen sind blind! Jeden Mannes Augen sind blind!« Dann lächelte er uns strahlend an: »Man muss mit dem Herzen sehen.«
    Ich klatschte frenetisch Beifall, aber unser Fensterposten schrie »Alarm!«, sprang herunter und rief: »Sie jagen einen!«
    Hotte und ich rannten zum Fenster und sahen, wie jemand auf unser Haus zulief. Drei russische Soldaten waren hinter ihm her.
    »Das ist Bruno«, sagte ich erschrocken. Ich hatte ihn sofort an seinem dichten weißblonden Haar erkannt. »Er arbeitet im Kuhstall.«
    Einer der Verfolger blieb stehen, legte das Gewehr an und schoss. Schnell setzten wir uns alle auf die Erde, damit wir nicht durch das Fenster getroffen würden, und warteten, was passierte. Hotte saß etwas vorgerückt, Dagi und ich halb versteckt hinter ihm, sodass der erste Blick auf ihn fallen würde, wenn jemand zur Tür hereinkäme.
    Ich erinnere mich genau, es war mein Gedanke, und obgleich dieser Gedanke nicht sehr nahe lag, passierte genau das: Wir hörten die Haustür knallen, und gleich darauf flog die Zimmertür auf, Bruno stürzte herein, warf sich auf die Erde und versuchte, wie ein in Panik geratenes Tier unters Bett zu kriechen. Dabei fauchte er gehetzt heraus, was geschehen war.

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