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Die Maikaefer

Die Maikaefer

Titel: Die Maikaefer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Burkhard Driest
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duldete. Beim Bügeln hätte sie sich verbrennen, beim Heißmangeln einklemmen können. Schon bald ging meine Mutter auch alleine einkaufen, Tante Kläre machte den Haushalt, und ich kümmerte mich um das Wohl der Lütten. Ich tat es so hingebungsvoll, dass sie an meiner Fürsorge zweimal fast erstickt wäre. Doch bevor jemand anderes es bemerkte, rettete sie sich, indem sie in Tränen und lautes Gebrüll ausbrach, das nicht nur Tante Kläre, sondern sogar die Schattners von unten auf den Plan rief.
    »Du kniest auf ihr und würgst sie!«, war der empörte Ausruf aller.

5. KAPITEL
    D
    a mein Vater Urlaub hatte, also diesmal länger in Naugard blieb, und ich gar nicht so viel anstellen konnte, um all die Tage mit Stubenarrest zu verbringen, wurde ich, wie schon so oft, nach Gollnow zu Tante Lieschen gebracht, der jüngeren Schwester von meiner Mutters Mutter. Sie lebte dort im Parterre eines Mietshauses, das sie geerbt hatte. Im Vorgarten zur Straße, die kaum befahren war, standen Fliederbüsche und nach hinten gab es einen leicht verwilderten Obstgarten, der zur Ihna hinunter abfiel.
    Ich liebte Tante Lieschen fast so wie meine Mutter. Mich faszinierten ihre langen, dunklen Kleider, stets hoch geschlossen bis zum weißen Rundkragen. Selbst die Knöpfe waren mit dunklem Stoff bezogen, die Strümpfe schwarz und auch die halbhohen Schuhe. Das Haar trug sie streng nach hinten, wo es in einem Knoten zusammengehalten wurde. Weich und blass waren ihre Wangen, die Augen, aus denen häufig ein Sonnenlächeln blitzte, dunkel und gütig. Wenn sie mir morgens in der Küche heiße Milch mit Honig machte, in die ich die Brötchen eintunken durfte, zog sie sich eine blütenweiße Schürze über, deren Bänder sie im Rücken zur Schleife knüpfte. Sie tat es mit schneller Bewegung und feierlicher Sachlichkeit, die ihre Achtung nicht nur vor der Schürze, sondern auch vor allen anderen Dingen ausdrückte. Alle Dinge, ebenso wie die Menschen, standen für sie ganz im Sein Gottes – selbst mein gieriger Genuss an dem süßen eingestippten Brötchen, ein Genuss, der meine Zähne verweichlichte.
    Jeden Morgen ließ mich Tante Lieschen so lange im Bett, wie ich wollte, und es gehörte zu meinen glücklichsten Momenten, nach dem Erwachen den Spatzen in den Fliederbüschen vor meinem Fenster zu lauschen. Sie schnatterten, kreischten, quietschten und waren so scharf auf das lebendige Leben wie eine Herde wilder Affen im Stettiner Zoo. Mit dieser tobenden Spatzenenergie füllten sie mein Herz, mir war schwindlig vom Flirren ihres Gefieders und dem Rascheln der Blätter, während ich durch halb geschlossene Lider beobachtete, wie sich das Morgenlicht veränderte. Mollig war es unter der Federdecke, und der Gedanke, dass Tante Lieschen sofort nach meinem Erscheinen in der Küche eine große Tasse heißer Milch bereit hätte, in die ich so viel Honig füllen konnte, wie ich wollte, um dann das Brötchen hineinzustippen, erzeugte in mir eine süße Zufriedenheit. Wenn ich ihr in der Küche gegenübersaß, schaute sie mir so aufmerksam zu, als gäbe es nichts Wichtigeres im Leben als mein Löffeln, Schlürfen und Schlecken.
    Wenn Tante Lieschen und ich spazieren gingen, blieben wir oft auf der Brücke über der Ihna stehen und beobachteten die Strudel des schnell dahinfließenden Wassers. Es war beruhigend, in die Wirbel zu starren, die sich mit Säuseln, Sprudeln und Gischten in meine Gedankenleere einschrieben. Neben Tante Lieschen befand ich mich stets im Zentrum eines tiefen Friedens, denn von ihr gingen weder Forderungen noch Ermahnungen, weder Verbote noch Belehrungen aus, es sei denn, ich hätte sie nach etwas gefragt.
    Unsere Spaziergänge fanden nach dem Mittagessen statt. Sie führten uns die Straße hinunter bis zur Brücke und einen schmalen Pfad längs des Flusses zurück. Durch eine Eisentür im Zaun betraten wir den Obstgarten, wo Tante Lieschen im Herbst die Früchte prüfte. Die heruntergefallenen Äpfel sammelte sie in einer Kiepe, die an der Terrasse stand. Wenn es genügend waren, sagte sie der polnischen Frau Bescheid, die ihre Wohnung in Ordnung hielt, die Wäsche machte und einmal in der Woche einkaufte. Smolna kochte dann Apfelmus ein.
    Wie ein junger Hund lief ich Tante Lieschen voraus und kehrte zurück, um sie etwas zu fragen oder ihr etwas zu zeigen. Einmal fand ich einen Groschen. Ich rannte sofort zu ihr und wollte wissen, was ich mir dafür kaufen könnte. Zweimal ein Eis, und das taten wir dann auch. Es war sehr

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