Die Maikaefer
deutschen Ritter gewesen wäre, die aus Niedersachsen, Schleswig-Holstein, Westfalen, der Pfalz, Flandern und auch aus Holland gekommen waren.
Holland, natürlich, ließ mich aufhorchen, denn vielleicht hatte mein Vater ja doch Recht! Vielleicht waren wir bei diesen Holländern dabei gewesen. Als ich das Tante Lieschen vorhielt, sagte sie, es könnte durchaus so gewesen sein.
War mein Vater nun also Slawe oder Holländer? Es ließ sich für mich nicht aufklären, und diese war eine von den vielen Sachen, die mich als Kind verwirrten und für deren Aufklärung die Erwachsenen sich dennoch nicht verantwortlich fühlten. Trotzdem versuchte ich es noch einmal, und ihre Antwort war:
»Ob die Vorfahren aus Holland kamen oder als Pomoranen hier schon lebten, war damals ganz gleichgültig. Es kam nur darauf an, dass sie katholisch waren und nicht heidnisch.«
»Und was waren sie?«
»Katholisch, jedenfalls von dem Moment an, wo ganz Europa katholisch geworden war.«
»Und sind wir das noch immer?«
»Nein. In unserer Familie sind alle evangelisch-lutherisch.«
»Ist das etwas anderes als katholisch?«
»Es ist nicht sehr verschieden. Der Hauptunterschied besteht darin, dass den einen ihre Sünden durch eine Beichte vergeben werden und die anderen sich ihre Sünden selbst vergeben.« Sie fügte hinzu: »Aber auch das ist egal, denn es werden so viele Sünden begangen, dass man weder mit dem Beichten noch dem Vergeben nachkommt.«
Natürlich reichte mir das nicht, und ich wollte wissen, was evangelisch-lutherisch war.
In ihrer weitschweifigen Art sagte sie: »Damals war ganz Europa katholisch, und da musste es natürlichen einen geben, den das störte, wie das immer so ist, und der der katholischen Glaubenspraxis den Kampf ansagte. Dieser Mann hieß Martin Luther, und der Krieg ging los.«
»Hier auch?« Die Idee mit dem Krieg regte mich auf, denn alle sprachen davon, aber ich hatte nie etwas davon gesehen und konnte mir kein wirkliches Bild machen, was das war. Aber ich wurde auch diesmal enttäuscht.
»Nein, hier nicht. In Pommern lief die Auseinandersetzung zwischen den Lutheranern und den Katholiken erst einmal ganz friedlich ab. Damit es auch so bliebe, lud der Pommersche Herzog Philipp den engsten Mitarbeiter Martin Luthers ein, so dass die Kirchenfrage nicht mit dem Schwert, sondern in einer Diskussion im Landtag ausgetragen würde. Der Landtag war in Treptow, und das Ganze passierte 1634. Da wurde beschlossen, in Pommern die Reformation ganz friedlich durchzuführen. Leider nutzte das nichts, weil die großen Fürstenhäuser die Religionsdebatte benutzten, um Krieg zu fuhren, damit sie sich gegenseitig das Land wegnehmen konnten.«
»Kriegten wir hier dann auch Krieg?«
»Ja. Die Truppen des Kaiserheeres kamen, die Truppen des schwedischen Königs ebenfalls, und damit kamen auch Tod, Elend und Verwüstung.«
»Starben da Leute?«
»Zwei Drittel aller Menschen mussten ihr Leben lassen, und die Kinder sangen, Maikäfer flieg, der Vater ist im Krieg, die Mutter ist in Pommernland, Pommernland ist abgebrannt, Maikäfer flieg! Das Lied kennst du ja. Die Rittergüter wurden ausgeplündert, die Überlebenden aus den Dörfern liefen davon, es blieb nichts weiter übrig als Verwüstung. Hundert Jahre gab uns Gott danach, um das Land wieder fruchtbar zu machen und die Dörfer und Güter wieder aufzubauen, dann kam wieder ein Krieg. Österreich verbündete sich mit den Russen, die bald in Pommern einrückten. Wo immer sie auftauchten, kam es zu Ausschreitungen und Übergriffen. Getreidefelder wurden von Pferden niedergetrampelt, Gebäude abgebrannt, Vieh und Vorräte geraubt.« Sie lächelte. »Das wolltest du doch wissen, nicht wahr? Was Krieg ist. Alles, was schrecklich ist, ist Krieg.«
Schrecklich konnte ich es mir nicht vorstellen, eher aufregend. »Kamen die Russen auch nach Naugard?«
»Ja.«
»Kamen sie in unsere Wohnung?«
»Eure Wohnung gab es damals noch nicht, das war 1758, aber bete zu Gott, dass das niemals passiert!«
»Warum nicht?«
Auf die Frage hin sang sie mir das Lied des Ritters von der Osten vor, in dem er sich darüber beklagt, wie sein Schloss geplündert wurde, die Federn aus den aufgeschlitzten Betten flogen, die blutgetränkte Erde mit Eingeweiden besudelt und auf der Straße das Korn zertrampelt wurde. Kein einziges Huhn war mehr zu finden, kein Saatkorn, kein Futter und kein Schwein.
»Was macht der Krieg für Beute?«, sang sie. »Der Feind nimmt
Geld und Vieh, die Armee
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