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Die Maikaefer

Die Maikaefer

Titel: Die Maikaefer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Burkhard Driest
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wünschte mir, auf so einem Pferd zu reiten.
    Auf dem Schreibtisch stand als Briefbeschwerer meine Märklin-Eisenbahnlok in Rot und Schwarz mit einem Anhängerwagen, bei dem man die Türen aufschieben konnte. Das war der Anfang einer inzwischen abgebrochenen Geschenkserie für mich gewesen, die zu einem großen Reichsbahnnetz ausgebaut werden sollte. Es hätte einen Teil des Dachbodens bedeckt, und zwar den zum Garten hin, weil auf dem anderen Teil, dem südlichen, Familie Schattner ihr Territorium hatte. Es war aber bei dem einen Weihnachtsgeschenk, einer Lokomotive mit Tender und Anhänger, geblieben, weil ich angeblich nicht nur die dazugehörigen Schienen, sondern auch das Gestänge an der Lok kaputt gemacht hatte. Ich kann mich an mein zerstörerisches Tun zwar nicht erinnern, aber da einer meiner Wesenszüge Ungeduld ist, halte ich es für möglich. Damals allerdings bestritt ich es wütend und unter Tränen. Vergeblich, denn bis zu ihrem Tod führte Tante Kläre diese Geschichte als Beispiel an, wenn sie anschaulich machen wollte, dass ich manchmal »so schrecklich böse« sein konnte. Wie auch immer – ich schätzte diese Lok als Vaters Briefbeschwerer viel mehr, als wenn sie auf dem Dachboden als Reichsbahn herumgedüst wäre. Normalerweise bekam ich sie auch gar nicht zu Gesicht, denn uns Kindern war es verboten, Vaters Zimmer zu betreten. Jetzt ging ich auf die Lok zu, denn neben ihr lag Papas Geburtstagsgeschenk: ein großes Bilderbuch mit einem grauen Schlachtschiff.
    Vater kam herein, überholte mich, wobei er mit Schwung unter meine Achseln fasste, und setzte mich auf seinen Schoß. Er legte beide Arme um mich, nahm den Bildband und erklärte mir vor jedem Umblättern die militärischen Aktionen. Unsere Soldaten erkannte ich an den zuversichtlichen oder gar fröhlichen Gesichtern, die Feinde am finsteren Ausdruck. Ich konnte das Kampfgeschrei fast hören. Alles auf den Bildern schien unablässig in Bewegung zu sein, veränderte sich jedoch nicht. Ein kleiner Trupp siegessicherer Soldaten stürmte eine Flak-Stellung mit grimmig dreinblickenden Franzosen, ohne die Stellung je zu erreichen.
    Vater deutete auf den Zigarrenanzünder auf dem Rauchtisch, hob mich vom Schoß und stellte mich neben den Schreibtisch vor einen drehbaren Ständer mit verschiedenen Füllfederhaltern, drei dazugehörigen Tintenfässern und einem Löschpapierstempel. Schon immer hätte ich gerne mit der roten Tinte gemalt, doch leider durfte ich davon nichts anfassen. Als Papa sich die Zigarre angezündet hatte und mich wieder auf den Schoß nahm, stürmten die Soldaten immer noch an derselben Stelle. Ich hätte sie gerne in Bewegung gebracht, die durch die Luft schwirrenden Kugeln gesehen, ihren Siegesjubel und ihr »Blutopfer«, wie mein Vater sagte, obwohl ich nicht genau wusste, was das war. Aus dem Buch tropfendes Blut, das ich mit dem filzigen Papierstempel hätte löschen können, würde mir sicher gefallen haben. Rote, dicke Seen neben kleinen Inseln blauer Tinte.
    In dem Buch waren auch die Dienstgrade der SA abgebildet: Männer mit Mütze, Riemen unterm Kinn, Daumen vorn im Gürtel. Die Uniformen waren braun, und manche trugen am Arm eine Hakenkreuzbinde. Papa sagte, bei dem Verein sei er auch gewesen. Nun war er bei einer Versorgungseinheit in Dresden, wo ihn meine Mutter oft besuchte, um mit ihm ins Konzert oder in die Oper zu gehen.
    Vielleicht hätte ich die strammen Männer mit Mütze und Querriemen bewundert, wenn mit dieser Glückswelt meines Vaters nicht die häufige Trennung von meiner Mutter verbunden gewesen wäre. Von ihren Reisen nach Dresden kam sie immer so strahlend zurück, dass es mir einen Stich ins Herz versetzte.
    Als mir abends Tante Kläre wieder eine Geschichte vom kleinen Prinzen erzählen wollte, der auf seinem Planeten auch immer alleine war, wie ich, wenn ich eingesperrt war, berichtete ich ihr davon. Eigentlich wusste ich nicht, wer die Tür abschloss und das Licht ausschaltete. Da es aber nur in den Nächten passierte, in denen mein Vater zu Hause war, hielt ich ihn für die böse Macht, die mich in Ängste versetzte. Tante Kläre würde nichts gegen ihn ausrichten können, das ahnte ich. Aber ich musste jemandem mein Leid klagen.
    Sie schaute mich eine Weile ratlos mit ihren wässrig blauen Augen an. Da spürte ich instinktiv, dass ich lernen musste, auch Angst zu verbreiten. Größere Angst, als ich während meines Eingesperrtseins empfand. So etwas wie eine Gegenwelle von Angst aussenden.

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