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Die Maikaefer

Die Maikaefer

Titel: Die Maikaefer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Burkhard Driest
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sah mich nur an und lächelte. So verhielt er sich öfter, und selbst wenn ich dann Grimassen schnitt oder ihm die Zunge rausstreckte, reagierte er nicht.
    Um ihn zu ärgern, meinte ich, mit der Kanone könnte er ja auch mal erschossen werden.
    »Ich bin noch viel zu jung«, sagte er. »Um zu sterben, muss man schon eine Menge erlebt haben.«
    »Hast du das nicht?«, fragte ich erstaunt. Schließlich war er fast vier Jahre älter als ich.
    Er schüttelte den Kopf. Dabei stellte sich eine Locke ganz hoch auf, sodass es aussah, als trüge er eine weiß glänzende Feder im Haar, was ihn noch hübscher machte.
    Plötzlich sagte er verärgert: »Meine Mutti besteht immer nur auf Schlafen und Mittagsschlafen und Essen und Langeweile.«
    »Isst du nicht gerne?«
    Er schüttelte den Kopf, und seine Locke fiel um. »Essen ist langweilig.«
    »Ist es auch langweilig, wenn du spielst?«
    »Ja, aber nicht wenn ich Krieg spiele. Weil dann ja was passiert. Ich möchte lieber im Krieg fallen als an Langeweile sterben.«
    »Dann musst du dich zu den Soldaten melden«.
    »Die nehmen mich nicht, weil ich noch zu jung bin.«
    Ich wusste nicht, wie ich Paul helfen konnte. »Die Gänse musst du aber trotzdem richtig hüten«, sagte ich und ging, um sie zusammenzutreiben, da es ohnehin bald Zeit sein würde, sie in den Stall zu bringen.
    »Komm doch mit«, rief ich ihm zu, aber er rührte sich nicht und zeichnete weiter. Ich ging noch einmal zu ihm, zog an seinem Pullover, doch er hörte nicht auf, seine Pfeile zu zeichnen, seine »Vorstöße« und »Gegenstöße«. Als ich mich umdrehte, stand die Sonne hinter ihm, und es sah aus, als säße er vor einem großen, roten Ball. Er wirkte ganz zerbrechlich, und mir fiel ein, dass Tante Kläre oft sagte, er müsse mehr essen. Die Schattner-Kinder kamen ebenso oft zu uns hoch, wie wir unten bei ihnen waren, und daher wusste ich, dass er kein Schmalz mochte, weder von Schweinen noch von Gänsen und auch kein Griebenschmalz. Selbst Butter, die ich so liebte, aß er nicht besonders gerne. Einmal hatte meine Mutter die Schattners eingeladen, als es Hammelfleisch mit Kohl gab. Auch das lehnte er ab, weil der Kohl mit Kümmel gewürzt war. Er stocherte so lange darin herum, bis alles kalt war. Bei uns wurde gegessen, was auf den Teller kam.
    »Beim Essen ist er kiesätig«, konstatierte meine Mutter.
    Besonders abstoßend fand er Schweinepfoten, Schweineohren oder Schweineschwänze, die es in der Erbsensuppe gab. Die Beilage war eingelegter Kürbis, aber auch den mochte er wegen des süßsauren Geschmacks nicht. Eines meiner Lieblingsgerichte war Buttermilchsuppe, die es oft abends gab, doch Paul schüttelte sich schon bei der Erwähnung und lehnte alles ab, was mit Buttermilch gemacht wurde, zum Beispiel Kartoffeln, die mit Salz, Lorbeer, Zwiebeln und Gewürzkörnern gekocht und dann in Buttermilch und etwas Gewürzwasser eingerührt waren. Tante Kläre goss noch Sahne darüber, schmeckte alles mit Pfeffer und Salz ab. Bei meiner Mutter gab es meist noch klein geschnittenen Matjeshering dazu. Aber von allem rührte er nichts an.
    Die einzige Aversion, die ich mit ihm teilte, war Schwarzsauer mit Kartoffelklößen. Das hatte es bei uns im letzten Jahr nach dem Schlachten der Weihnachtsgans gegeben. Das Gänseklein wurde mit Zwiebeln, Lorbeer und Gewürzkörnern aufgekocht, und dann rührte meine Mutter angedicktes Gänseblut mit etwas Zucker dazu. Als ich das sah, protestierte ich so laut, dass sie versprach, es nicht wieder zu kochen. Vorher aber versuchte sie, mich von der Köstlichkeit mit dem Argument zu überzeugen, dass das sogar Paul essen würde. Ich musste hinunterlaufen und ihn holen, aber schon als ich Gänseblut erwähnte, verdrehte er die Augen.

7. KAPITEL
    A
    m Abend meiner Rückkehr aus Gollnow saß Tante Kläre an meinem Bett, um mir endlich wieder vom kleinen Prinzen zu erzählen. Ich hatte das Buch doch ein wenig vermisst, das allerdings nicht Der kleine Prinz hieß, sondern The Little Prince, weil es auf Englisch war. Tante Kläre behauptete zwar immer, Englisch zu können und alles zu verstehen, was in dem Buch stand. Aber ganz sicher war ich mir da nicht. Als Mädchen hatte sie bei einer englischen Erzieherin Unterricht erhalten und vor dem Ersten Weltkrieg auch ein Jahr bei deren Familie in Bury St Edmunds verbracht, aber sicher hatte sie inzwischen vieles vergessen. Es machte ihr jedoch riesigen Spaß, mir diese Geschichten zu erzählen und dabei so zu tun, als erinnere sie

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