Die Maikaefer
sich an jede Einzelheit und jede Formulierung. Ich hielt derweil das Buch und sah mir die Zeichnungen an.
Bevor sie diesmal anfangen konnte, erzählte ich ihr, was mich heftig bewegte, nämlich dass Paul sich sogar beim Gänsehüten langweile und deswegen Kanonen mit ganz langen Rohren zeichne.
»Seine Mutter ist ja auch nicht sehr temperamentvoll«, sagte sie. »Er ist eben ein Schluck Wasser. In seinem Leben wird nie was passieren. Solche Menschen hoffen immer, dass doch noch irgendetwas geschehen wird, aber das ist ein schwerer Irrtum. Seine Schlachten sind das Einzige, was die Eintönigkeit für ihn unterbricht. Wenn der Krieg vorbei ist, wird er Kriegsbriefmarken sammeln. Die kleinen Bilder darauf werden dann das Kostbarste sein, was er hat.« Dann drückte sie mir das Buch in die Hand und fragte, welche Geschichte sie mir erzählen solle.
Der kleine Prinz leistete einem Mann in der Wüste Gesellschaft, dessen Flugzeug abgestürzt war. Er war mit einem Fallschirm abgesprungen, wie ich es auch schon einmal gesehen hatte.
Der Himmel war voller Flugzeuge gewesen, die in sehr großer Höhe flogen und die wir aus der Kutsche, mit der wir Richtung Naugard fuhren, vielleicht gar nicht bemerkt hätten, wären nicht das unheimliche Brummen und die Kondensstreifen gewesen, die die Maschinen hinter sich herzogen. Grohmann, der Kutscher, der uns von Gut Drewitz nach Hause fuhr, sagte: »Das sind Amis, die Royal Air Force kommt nachts. Die fliegen die Industrieanlagen im Stettiner Haff an. Wenn Sie darauf achten, können Sie die Detonationen hören. Wahrscheinlich das Hydrierwerk bei Pölitz.« Dann zeigte er mit der Peitsche nach oben. »Sehen Sie, da kehrt eine um!«
Eine der Viermotorigen kam zurück, wobei sie ständig an Höhe verlor. Sie steuerte auf den Drewitzer Wald zu. Ich freute mich schon, weil ich dachte, sie lande bei uns und ich könnte das Paul erzählen.
»Hören Sie den Beschuss?«, fragte Grohmann. »Sie wird von der Flak unter Feuer genommen.«
Im selben Moment drehte sie in einer Schleife Richtung Naugard ab und zog eine dicke Rauchfahne hinter sich her.
»Sehen Sie, wie sie noch die Bomben fallen lässt?«
Dann krachte es auch schon – und kurz danach hingen kleine Fallschirme in der Luft. Ich zählte sie laut, aber Grohmann war schneller. »Es sind sieben«, sagte er.
Das Flugzeug stürzte ab und sägte eine Schneise in den Wald.
»Wollen Sie das sehen?«, fragte er, und ich schrie sofort: »Ja!«
Da meine Mutter nicht widersprach, nahm er die Peitsche, kitzelte das Pferd in den Trab und bog nicht weit entfernt in einen Feldweg ein.
Als wir an die Absturzstelle kamen, hatten sich schon Leute versammelt, die beim Beerensuchen gewesen waren. Eine Frau gab mir eine Hand voll Waldhimbeeren, und alle redeten darüber, wer wohl die abgesprungenen Feinde einfangen würde.
Ich war sehr erstaunt, wie groß die Maschine war. Von dieser Riesenhaftigkeit träumte ich sogar in den Nächten danach, denn ich kannte nur die Maschinen aus dem Bilderbuch von Papa und die kleinen aus Blech, mit denen Paul bei seinen Schlachten die Feindangriffe flog. Irmchen oder ich mussten dabei die Panzer steuern, damit wir abgeschossen werden konnten.
Als wir unsere Fahrt nach Hause fortsetzten, fragte ich den Kutscher, ob die mit den Fallschirmen noch lebten.
»Wenn sie nicht gelyncht wurden, ja.«
Ich verstand das nicht, und meine Mutter erklärte mir schnell, dass man auch zu Schaden kommen könne, wenn die Fallschirme in einem Baum oder einer Hochspannungsleitung hängen blieben.
»Ich glaube, das ist sogar der Fall«, sagte Grohmann, griff in seine alte Ledertasche unter der Sitzbank und brachte ein Fernglas zum Vorschein. Er hielt das Pferd an, wobei er »Brrrrr« machte, und ich griff sofort nach den Zügeln. Auf eine solche Gelegenheit wartete ich immer, das war mein größtes Glück, die Pferde zu lenken oder wenigstens die Zügel zu halten. Grohmann achtete nicht darauf, weil er konzentriert durch das Glas schaute.
»Ja, er ist in einer Eiche hängen geblieben, am Rand des Kornfeldes dort drüben, sehen Sie, wo der Eichenwald anfängt.«
»Lass uns da hinfahren, bitte, ich möchte ihn sehen, wir müssen ihn retten, ich habe noch nie einen Feind gesehen, bitte, Mami!«
Grohmann stellte sich aufrecht hin, um besser zu sehen. »Die anderen sind auf dem Weideland von Dingatsch runtergegangen, da bauen sie gerade eine Landebahn.«
»Darf ich auch mal sehen?«, fragte ich begierig.
»Muss deine Mutter
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