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Die Maikaefer

Die Maikaefer

Titel: Die Maikaefer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Burkhard Driest
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auf keine von Pauls Bitten Rücksicht genommen hatte. Auf seinem Kopf war nur noch, was eine kleine Schüssel übrig gelassen hatte. Es tat mir so leid für ihn, dass ich hätte weinen können. Seine Mutter fragte mich, wo all die Spielsachen von Paul geblieben seien.
    »Ich habe sie verbrannt«, sagte ich, hörte aber meine Stimme gar nicht.
    Sie wollte das nicht glauben und stellte sich vor mich hin. Nun konnte ich Paul nicht mehr sehen. »Du hast Pauls ganze Spielsachen verbrannt?«
    Ich nickte.
    »Warum hast du das getan?«
    Ich spürte, wie sich alles in mir zu Bockigkeit verklumpte. »Es waren nicht Pauls Sachen. Es waren meine Sachen.«
    Sie wandte sich entsetzt zu Paul. »Paul, stimmt das?«
    Er nickte und begann zu weinen. Er hörte nicht auf. Seine Mutter war fassungslos und ging zu ihm, um ihn in den Arm zu nehmen.
    Ich verließ die Wohnung, ging hinauf in mein Zimmer, legte mich in mein Bett.
    Ich hasste Mittagsschlaf so sehr, dass ich den Daumen in den Mund nahm und daran lutschte, um nicht vor Wut zu heulen.

17. KAPITEL
    E
    s war an einem Freitag. Ich erinnere mich noch, weil es Fisch gab. Meine Mutter hatte ihn von einem ihrer Musikfreunde bekommen, der ein Haus am Naugarder See besaß. Er hatte die Eisdecke aufgeschlagen und geangelt. Meine Mutter hatte es sich nicht nehmen lassen, den Fisch, ich glaube, es war Plötz, selbst zuzubereiten. Weißer Fisch brauchte viel Sellerie, und den hatte sie für diesen Zweck eingeweckt. Es war eines meiner Leibgerichte, und ich war noch gar nicht ganz fertig, als es klingelte und Pauls Mutter aufgeregt hereinkam.
    »Dorothea, du bist ja vollkommen aus dem Häuschen, was ist passiert?«, fragte meine Mutter in ihrer immer guten Laune.
    Sie erzählte, sie sei mit Irmchen beim alten Doktor Hartmann gewesen, weil sie eine Entzündung am Backenzahn hatte.
    Ich kannte den Zahnarzt, meine Mutter war auch einmal mit uns da gewesen. Doktor Hartmann war ein sehr freundlicher Mann, der extra ins Wartezimmer kam, um uns Bonbons aus Sirup zu bringen. Zu Dagi hatte er gesagt: »Ich gebe dir auch ein Bonbon, aber du darfst es erst lutschen, wenn ich mir deine Zähne angesehen habe.« Danach ärgerte ich sie immer damit, dass sie nicht mal einen Bollo lutschen könnte. Ich wollte diese Geschichte erzählen, aber meine Mutter mahnte: »Bitte unterbrich einen Erwachsenen nicht!«
    Tante Doro streichelte mir übers Haar und lächelte mich entschuldigend an, bevor sie weiter erzählte. »Wir saßen noch im Wartezimmer, dann hörten wir einen Riesenlärm im Treppenhaus, und im nächsten Moment stürzten vier Mann von der SS herein. Sie rannten gleich weiter in das Behandlungszimmer. Dann kamen sie wieder heraus und schleppten Doktor Hartmann in den Hof. Dort haben sie ihn erschossen. Seine Sprechstundenhilfe hat gesagt, dass er vom Kriegsdienst zwar befreit war, dass er aber vor Kurzem dem Volkssturm als Leiter Naugard zugeteilt worden war. Er hat die Volkssturmleute auch antreten lassen, aber nur, um ihnen zu sagen, dass der Krieg praktisch verloren und weitere Opfer sinnlos wären. Danach hat er sie nach Hause geschickt. Einer von den Volkssturmmännern hat sofort die SS angerufen, die ihn dann praktisch vor unseren Augen standrechtlich erschossen hat. Ist das nicht schrecklich?«
    Meine Mutter stand auf, nahm sie in den Arm und versuchte sie zu beruhigen.
     
    Am selben Tag wurden bei uns drei Offiziere einquartiert, die am nächsten Tag weiter wollten und meine Mutter zu überzeugen suchten, dass sie am Sonntag hier Russen im Haus haben würde.
    Die Russen kommen! Seit Zernikow ließ mich dieses Thema zittern und frösteln, und als die Offiziere das Vorrücken der russischen Truppen in den einzelnen Schritten voraussagten, konnte ich nicht weggehen, ich konnte nicht mit Rex spazieren gehen, ich überließ das Alexa. Natürlich wusste ich nicht, wo die Orte lagen, die die Offiziere erwähnten, aber meine Mutter machte immer wieder Einwendungen und beendete die Spekulationen über die siegreichen Fortschritte der Russen mit der Bemerkung, wir in Naugard hätten bislang solcher Schwarzmalerei widerstanden. Später gab sie zu, dass sie ihre Heimat, das Schwimmen im Naugarder See, ihr Haus, den geliebten Steinway-Flügel und viele Dinge nicht hätte verlassen wollen und daher zwar an eine Niederlage Deutschlands denken konnte, damit aber nicht auch eine Vertreibung verband. Auch der Erste Weltkrieg war verloren worden, und die Menschen waren geblieben, wo sie lebten.
    Ich war ganz auf

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