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Die Maikaefer

Die Maikaefer

Titel: Die Maikaefer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Burkhard Driest
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besucht hatte, und Irmchen zu ihr geschleppt, als Muckchen noch in Uniform war, und sie gebeten, seiner Schwester vom Krieg zu erzählen.
    Er gab uns auch Geschenke. Für Irmchen waren das Gutscheine, auf denen er ihr Puppen und allerlei Sachen versprach, die Mädchen mochten. Mir schenkte er nach und nach all sein Spielzeug. Er musste mir immer wieder etwas geben, weil ich mich immer öfter weigerte, bei den Schlachten mitzumachen. Mir machte es einfach mehr Spaß, mit Rex oder den Kaninchen zu spielen oder Cerberus zu ärgern, weil sie alle etwas von sich aus taten, das nicht nach einem Plan ablief, den ich schon vorher kannte und bei dem es nur darum ging, wer was kaputt machte. Am Ende hatte Paul nur noch einen Panzer. Er schenkte mir die Sachen allerdings immer unter der Bedingung, dass wir weiter damit spielten.
    Am letzten Tag im Februar fragte er mich, wie viele Tage ein Monat habe. Von Tante Lieschen wusste ich, dass es immer dreißig oder einunddreißig waren und ich es an den Knöcheln meiner Hand ablesen konnte. Jeder zweite Monat hatte dreißig Tage. Paul lächelte und sagte, dies sei der letzte Tag im Monat, der wievielte Tag es also wäre, und, fuhr er fort, sollte ich ihm etwas Falsches sagen, müsste ich mit ihm den Warschauer Aufstand vom 3. Oktober 44 noch einmal spielen, was wir am Tag zuvor nicht zu Ende gebracht hatten, weil ich mit Rex meine Tour machen musste.
    Ich nahm die Wette an. Ich hatte bereits heimlich meine Knöchel abgetastet und wusste, es waren dreißig Tage.
    Er lachte bei meiner Antwort und holte seine Mutter, die eigentlich mit ihm zu Nazi-Hermann wollte.
    »Wie viele Tage hat der Februar, Mutti?«, fragte er sie.
    »28. Das ist heute, und deswegen gehen wir jetzt auch gleich zu Hermann, ich habe uns angemeldet.«
    Paul bestand darauf, dass er vor dem Frisör erst mit mir die Schlacht spielte, weil ich 30 statt 28 gesagt und er gewonnen hätte. Tante Doro machte mir hinter seinem Rücken ein Zeichen, dass ich das ablehnen solle, was ich auch so lange tat, bis er mir seinen Panzer anbot und mich anflehte, ihn vor dem widerlichen Frisör zu retten. Seine Mutter stand hinter ihm, und ich schaute sie mit so großen und fragenden Augen an, dass er aufmerksam wurde. Er legte seine Arme um sie und schmuste herum, bis sie nachgab.
    Ich spielte so, dass es nicht lange dauerte. Paul merkte das zwar, nahm es aber hin.
    Danach mussten sie schnell los. Seine Mutter nahm Irmchen und Laura auch mit, weil sie meinte, das wäre alles »ein Abwasch«.
    Als die Wohnungstür hinter ihnen zugefallen war, saß ich allein vor all den Panzern, Flugzeugen, Lastwagen, Kanonen und Soldaten. Pauls Charme und Verführungskunst versetzten mich stets in einen Zustand, in dem ich nicht mehr wusste, was ich wollte und was ich fühlte. Nun hockte ich auf den Knien vor all diesen Sachen und wollte, dass dieser Zustand sich auflöste. Die meisten der Spielsachen waren aus Holz, die Soldaten aus Blei. Meine Hände waren eiskalt, und als ich aufstand, um sie am Kachelofen zu wärmen, spürte ich meine Beine nicht, weil sie eingeschlafen waren. Ich drückte meine Hände gegen den Ofen und bewegte meine Beine. Dann öffnete ich die Ofenklappe und schaute hinein. Unten war das Feuer rot, oben loderte es gelb und weiß wie die Bauernhöfe auf dem Schneefeld. Ich ging zu unserem letzten Schlachtfeld, das das halbe Wohnzimmer einnahm, schob alles Spielzeug zusammen, nahm so viel ich greifen konnte, trug es zum Ofen und warf es hinein. Ich beobachtete die Flammen, wie sie alles fraßen. Am meisten faszinierte mich, wie sich die Bleisoldaten in der Hitze zu bewegen begannen, als erwachten sie zu Leben, und dahin schmolzen. Das wiederholte ich so lange, bis nichts mehr da war.
    Es war Zeit zum Mittagessen und ich ging nach oben. Es gab Bratkartoffeln mit Spiegeleiern und Spinat. Danach sollten wir wie jeden Mittag schlafen, aber es klingelte, und Dorothea Schattner stand vor der Tür und bat mich, herunterzukommen. Zu meiner Mutter sagte sie, es werde nicht lange dauern. Ich war so benommen, dass ich mich am Treppengeländer festhalten musste, um nicht zu fallen.
    Sie führte mich ins Wohnzimmer und trat zur Seite. Mir war, als wollte sie den Blick auf eines von Pauls Schlachtenpanoramen freigeben, doch alles war kahl und leer, und mir fiel zum ersten Mal auf, dass es nicht einmal einen Blumentopf am Fenster gab. Dort stand Paul wie ein strammer Bleisoldat. Er hatte ganz kurze Haare, und ich konnte sehen, dass Nazi-Hermann

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