Die Malerin von Fontainebleau
menschlichen Ausdünstungen, Kot und Abfällen bereits unangenehm bemerkbar. In einigen Tagen würde der Gestank hier unerträglich sein. Luisa sah, wie eine Frau eine Schüssel mit Kammerlauge vor ihrem Zelt auskippte, und sah angeekelt weg. Wie viel Profit auch immer die Bewohner des Dorfes von Villeneuve durch das königliche Lager machten, nach dem Abzug dieser Meute würden sie Monate brauchen, um das Land zu säubern.
Unterhalb der Burg schienen nur das niedere Volk und weniger wichtige Höflinge zu lagern, Hochadel und Klerus hielten sich innerhalb der mächtigen Burg auf, deren Türme und Zinnen strahlend weiß in der Sonne glänzten. Von allen Türmen wehte die Lilienflagge und kündete von der Anwesenheit des Königs von Frankreich. Je näher sie dem Burgtor
kamen, desto militärischer wurde es. Geschütze standen geputzt auf dem Rasen, und bis an die Zähne bewaffnete Soldaten exerzierten unter dem Gebrüll eines Offiziers über das offene Feld. Man hatte rings um die Burg einen Ring freigelassen, in dem sich ausschließlich Militär aufhielt.
»Ich kann mir ja kaum vorstellen, dass der Kaiser hergekommen ist, um anzugreifen«, meinte Luisa angesichts der überwältigenden Menge an Kavallerie und Infanterie.
»Hätte mich der Kaiser ein Jahr lang eingekerkert, wäre ich auch vorsichtig.« Gérard lenkte sein Pferd zwischen zwei Geschützen hindurch. »Wahrscheinlich würde ich gar nicht mit dem Kerl sprechen wollen, der dann auch noch meine Söhne jahrelang einkassiert hat. Ach ja, und dann musste Franz auch noch die Schwester von Karl heiraten.«
»Obwohl das doch zur Aussöhnung der beiden beigetragen haben soll. Trotzdem, das muss hart für Eleonore gewesen sein. Immerhin ist sie Habsburgerin im Feindesland«, sagte Luisa, ohne nachzudenken.
Erstaunt sah Gérard sie an. »Wen kümmert es schon, was Frauen denken!«
Diese Worte brachten sie zum Schweigen und verdeutlichten ihr einmal mehr, wie privilegiert sie durch ihre Hosenrolle war.
Angesichts der zu erwartenden erhöhten Sicherheitsvorkehrungen hatte Rosso ihr ein Empfehlungsschreiben mit seinem Siegel mitgegeben, welches sie die erste Hürde, die Wachen am äußeren Burgtor, passieren ließ. Im Gegensatz zum verträumten Fontainebleau handelte es sich hier um ein Château mit ausgeprägtem Festungscharakter. Über dem Außentor befanden sich Erker, die Pechnasen, deren Bretter mit Eisenbändern und Nägeln beschlagen waren. Der dunkle Tortunnel, durch den sie nun ritten, war mit
Schießscharten ausgestattet. Gérard zeigte nach oben, wo sich eine Öffnung abzeichnete. »Ein Mörderloch. Dadurch können sie von oben den eindringenden Feind beschießen. Die Fallgitter sind auch recht imposant.«
Luisa bestaunte die aufwendig gebauten Verteidigungsvorrichtungen und den mächtigen Bergfried, den Hauptturm der Burg, der vor ihnen in den Nachmittagshimmel aufragte, als sie in den Hof kamen. Der Palas, das Repräsentations- und Wohngebäude des Burgherrn und seiner Familie, war auf der rechten Seite, und im Anschluss daran war auch eine Kapelle zu finden.
»Ich kenne mich bei Hof nicht aus, aber dass der Kerl dort vorn uns nicht den Hintern küssen will, ist mir klar.« Gérard hielt sein Pferd am Zügel und blieb stehen.
Luisa tat es ihm nach, denn der Mann, der mit hochrotem Kopf und einem prallen Wanst wie ein Bulle auf sie zustampfte, sah in der Tat bedrohlich aus. »Was wollt ihr hier? Ich bin der Hausmarschall. Lieferanten können sich unten beim Profos melden. Kuriere haben ihre Botschaften mir oder einem der Offiziere zu übergeben. Ihr habt keine Waren dabei, also gebt mir eure Nachricht und verschwindet«, bellte er sie an.
Nach mehreren Tagen des Reisens klebte der Staub in allen Poren, die Stiefel waren verkrustet, und ihre Hemden hatten längst ihre ursprüngliche Farbe verloren. Luisa sah von sich zu Gérard und konnte den Hofmarschall verstehen, denn sie boten in ihrer abgerissenen Kleidung zweifellos einen erbärmlichen Anblick. »Monsieur, wir sind weder Lieferanten noch Kuriere. Ich komme mit einer Arbeit von Meister Rosso direkt aus Fontainebleau und ersuche um eine Audienz bei Seiner Majestät. Wenn Ihr also die Güte hättet, uns ein Quartier zuzuweisen. So können wir Seiner Majestät nicht entgegentreten.«
Der Hausmarschall verengte die Augen zu schmalen Schlitzen und schnaufte. Mit einer Hand hielt er sich den strammen Wanst, der in einem gefältelten Rock steckte, von dem die Knöpfe jeden Moment abzuspringen
Weitere Kostenlose Bücher