Die Malerin von Fontainebleau
Gelehrten hat der König lieber sterben lassen, als sich gegen die Meinung der Sorbonne zu stellen.«
»Monsieur Estienne!«, rief einer der Knechte und winkte ihnen.
Sie sprangen auf und folgten dem Mann die Böschung hinauf. Der Knecht wartete hinter einem Gebüsch und bedeutete ihnen, dasselbe zu tun. »Dort, seht Ihr die beiden Reiter?«
Luisa kniff die Augen zusammen, um die gut gekleideten Männer besser erkennen zu können, die in einiger Entfernung auf der Straße als Schlusslicht einer Gruppe mit Wagen vorüberritten. Der Jüngere wandte den Kopf und sah in ihre Richtung. Luisa fuhr zurück. Für Sekunden hatte sie in die Augen von Guy de Mallêt geblickt, doch er konnte sie unmöglich gesehen haben.
Auch Estienne schien den Sekretär des Kardinals erkannt zu haben. »Gut gemacht, Gérard. Jetzt wissen wir, wen wir vor uns haben. Aber sie scheinen im Gefolge des Kardinals zu reisen und werden langsamer sein als wir.«
Nachdenklich nestelte Luisa an den Bändern ihrer Weste. »Kann er verhindern, dass ich mit dem König spreche?«
»Da er nicht weiß, was Ihr vorhabt, gibt es dafür keinen Grund, aber Vorsicht ist allemal geboten. Ich werde Euch Gérard mitgeben.«
Am 4. Juni 1538 ritt Luisa an der Seite von Gérard, dem Knecht aus Meaux, auf der Straße von Grasse durch die hügelige Landschaft Südfrankreichs. Das Château de Villeneuve lag oberhalb des gleichnamigen Dorfes inmitten von Pinien- und Eichenwäldern und Olivenhainen, bei deren Anblick Luisa Heimweh nach der Toskana erfasste. In der felsigen Landschaft, die reich an den verschiedensten Pflanzen und Kräutern war, entdeckte sie Lavendelbüsche, nahm
den Duft von Thymian, Salbei und Rosmarin wahr und erfreute sich an Palmen, Eukalyptus- und Ölbäumen. Weinberge hatte sie schon früher während ihrer Reise gesehen, doch jetzt bedeckten grüne Reben ganze Bergrücken.
»Wie reich das Land hier unten ist«, sagte Luisa bewundernd.
»Lasst Euch von den Weinbergen nicht täuschen. Paris, Marseille, Bordeaux und Lyon sind die Handelszentren. Vor allem Lyon dürfte Euch ein Begriff sein, da viele italienische Bankiers dort ansässig sind und unserem verschwenderischen König ihr Geld leihen«, grinste Gérard.
Sie hatte den Knecht als aufgeweckten und erstaunlich gebildeten Mann kennengelernt, der zwar aus ärmsten Verhältnissen stammte, aber in die Schule der Reformierten in Meaux gegangen war.
»Was Franz ihnen nicht immer dankt«, meinte Luisa und staunte über das riesige Meer an Zelten, das sich vor ihnen bis hinauf zur Burg ausbreitete. Die größeren Zelte waren mit bunten Wimpeln geschmückt, und Fahnen mit der französischen Lilie und dem königlichen Salamander waren zu Dutzenden geflaggt. Weiß, Blau und Gold schienen die vorherrschenden Farben, doch je näher sie dem riesigen Lager kamen, desto bunter wurde es. Man konnte die Nähe des Meeres nicht nur spüren, sondern auch riechen. Entsprechend reich war das Angebot an Früchten, Gemüse und Fischen aller Art, das die Händler bereithielten. Gaukler, Musikanten und Schauspieltruppen probten lautstark ihre Künste vor phantastisch geschmückten Wagen. Piköre, Jäger und ihre Hundemeuten, Falkner und schließlich die Stallmeister und -knechte, die sich um Tausende von Pferden zu kümmern hatten, beanspruchten den Platz eines kleinen Dorfes für sich.
Dazu kamen die Familien der fliegenden Händler und
Kaufleute, zu denen Juwelen- und Seidenhändler zählten, die die feinsten Waren mit sich führten. Der Hof hatte auch auf Reisen Gelüste und luxuriöse Bedürfnisse, die jederzeit befriedigt werden mussten. Weniger erhaben, doch nicht minder wichtig waren die Prostituierten, die in eigens für ihr Gewerbe hergerichteten Wagen mitreisten.
Gérard konnte seine Augen kaum von den üppigen Dirnen wenden, die sich ihm mit weit ausgeschnittenen Miedern anboten. »Na, Ihr schaut so säuerlich drein, das schöne Geschlecht hat es Euch wohl nicht so angetan?«
Estienne hatte die Knechte nicht eingeweiht. Je weniger Menschen von Luisas Verkleidung wussten, desto länger würde sie ihr Geheimnis bewahren können. »Dafür scheinen es die Weibsbilder auf dich umso mehr abgesehen zu haben«, grinste Luisa und zog ihr Barett, das sie seit dem Morgen trug, tiefer ins Gesicht. Aufmerksam glitt ihr Blick über die schier unendlichen Reihen von Menschen und Tieren, die sich im Umfeld der Burg zusammendrängten. Durch die Wärme machten sich die strengen Gerüche von tierischen und
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