Die Malerin von Fontainebleau
prächtiges kleines Schloss und eine seinem Stand entsprechende Garderobe leisten konnte. Von schlankem Wuchs und mit einem klassisch proportionierten Gesicht wirkte der Meister in seiner Brokatrobe, einem blütenweißen Hemd, Samtwams und bestickten Schuhen wie ein Aristokrat des königlichen Hofrats. Seinen Beinamen Rosso hatte er aufgrund seiner kastanienroten Haare erhalten. Die Damen des Hofes vergötterten den Meister, der charmant plaudern und unterhalten konnte und dessen melancholische Augen sein Gegenüber auf anziehende Weise betrachten und gleichzeitig auf Distanz halten konnten. Rosso war eine schillernde Künstlergestalt und ein faszinierender Mann, einer, aus dem Armido noch nicht ganz schlau geworden war.
Wie er zum Beispiel eben jetzt von Josette gesprochen hatte, obwohl Armido davon überzeugt war, dass Meister Rosso einen schönen Jüngling jedem Mädchen vorziehen würde. Schließlich trat Rosso immer in Begleitung von Francesco Pellegrino auf, einem eleganten jungen Florentiner. Pellegrino hatte sich nur aus Liebhaberei der Malerei gewidmet und war mehr Freund und Vertrauter des Meisters als sein Mitarbeiter, obwohl er gelegentlich auch Zeichnungen anfertigte und malte. Armido musterte Pellegrino, während Rosso sich den Holzvertäfelungen zuwandte und die Goldaufmalungen kontrollierte. Francesco Pellegrino war sehr schlank und hatte weiche Gesichtszüge. Wenn er sprach,
gestikulierte er viel mit den Händen, wobei er die kleinen Finger geziert abspreizte. Er schien eifersüchtig darüber zu wachen, wem Rosso sich näherte.
Primaticcio hielt sich mit betont gelassener Miene im Hintergrund. Zwei Hähne auf einem Hof waren einer zu viel, dachte Armido, doch Meister Rosso ließ sich von niemandem einschüchtern. Er verbreitete die Aura eines gänzlich in seiner Arbeit aufgehenden Künstlers, der über irdischen Querelen zu stehen schien. Jetzt legte er nachdenklich einen Finger an Mund und Kinn und begutachtete Scibecs Schnitzereien.
»Gute Arbeit, Scibec, wirklich, ich bin zufrieden. Die Schnitzereien der Blattranken sind ebenmäßig, jedes Detail ist mit gleicher Sorgfalt herausgestellt. Der königliche Salamander erhält durch den Goldauftrag mehr Gewicht und gibt dem Raum im Wechselspiel mit dem F auf den benachbarten Paneelen auch im unteren Teil rhythmische Erhabenheit, ohne zu erdrücken. So habe ich mir das vorgestellt. Nur …«
Es wurde still in der Galerie, und die Anwesenden, über einhundert Handwerker und Künstler, hielten den Atem an. Wenn Rosso Kritik übte, bedeutete das fast immer einen erheblichen Mehraufwand an Arbeit.
Scibec zog an seiner Kappe und trat nervös von einem Fuß auf den anderen. »Ja, Meister?«
»Die Inschriften sind unregelmäßig, die Buchstaben wirken linkisch. Hier, bei ›Francorum Rex‹ ist das O viel größer als das C, und der Schriftzug zieht rechts zu sehr nach oben. So kann das nicht bleiben!«
Alle Augen richteten sich auf den Fehler, und Armido musste zugeben, dass der Meister wieder einmal recht hatte. Armer Scibec. Im schlimmsten Fall würde er die Paneele entfernen, eine neue fertigen und die Materialkosten selbst tragen müssen.
Zu Armidos Erleichterung fand seine Karyatide das Wohlwollen des Meisters. Léonard Thiry äffte Armidos Verbeugung hinter Rossos Rücken nach. »Hast Glück gehabt, dass dich deine kleine Freundin gerettet hat. Noch einmal wird dir das wohl kaum gelingen.«
»Wart’s ab, Thiry. Und jetzt konzentriere dich besser auf deine Farben, allzu begeistert scheint mir Meister Rosso nicht …« Armido nickte in Richtung des Freskos, an dem Thiry arbeitete.
Rosso warf Pellegrino seinen dunkelblauen Mantel zu und kletterte auf das Gerüst. Das Rascheln von Seidenröcken zeigte an, dass mittlerweile zahlreiche Hofdamen hinzugekommen waren, Ledersohlen auf staubigem Holzfußboden und leises Gemurmel war alles, was von den Anwesenden zu hören war. Von unten waren nur Rossos athletische Waden und der schimmernde Überrock zu sehen. Plötzlich drehte sich Rosso Fiorentino um, kam zum Rand des Gerüsts und beugte sich zu Thiry: »Wie lautet das Thema dieses Freskos?«
Thiry erbleichte und stotterte: »Der Jungbrunnen.«
»Und weiter? Was beinhaltet die Darstellung?« Rossos Stimme war gleichbleibend freundlich, als spräche er zu einem Schüler und nicht zu einem Mann, der schon an anderen wichtigen Projekten mitgewirkt hatte.
Der Niederländer war ein hervorragender Maler, aber mit Kritik konnte er nicht umgehen.
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