Die Malerin von Fontainebleau
wurden barbes genannt, eine Bezeichnung, die bei den Häschern der Kirche keinen Verdacht erweckte. Zum ersten Mal war Armido vor einigen Jahren in Rom Mitgliedern der Glaubensgemeinschaft begegnet und hatte Interesse an den neuen Ideen gefunden. Er hatte gelernt, dass die »Armen von Lyon«, wie sie sich selbst nannten, von der heiligen Inquisition als Waldenser bezeichnet wurden, nach Valdes, dem Begründer der Bewegung in Lyon um 1170. Über die letzten Jahre hatte Armido immer wieder Kontakt zur Gruppe gesucht, doch zum Beitritt hatte er sich erst entschlossen, nachdem er Jules’
Schwester Aleyd kennen gelernt hatte. Aleyd war nicht nur schön, sondern auch tugendhaft und würde nur einen Mann ihres Glaubens heiraten. Ein leiser Seufzer entfuhr Armido.
»Was ist? Schaffst du es nicht bis nächste Woche? Gibt es Probleme?«, fragte Jules.
»Nein, nein, das werde ich einrichten können. Ich muss in die Galerie, Meister Rosso ist hier. Wie geht es Aleyd?«
Jules lächelte. »Danke. Es geht ihr gut. Sie lässt dich grüßen.«
Armidos Gesicht erhellte sich. »Wird sie anwesend sein, wenn der barbe mit mir spricht?«
»Natürlich. Alle Brüder und Schwestern, die kommen können, werden dort sein.«
Stimmen näherten sich. Armido drückte den Efeu auseinander und sah zwei Wachmänner, die Richtung Seeufer gingen.
»Du solltest gehen, Jules. Auch wenn Marot beim König wieder gut gelitten ist, heißt das nicht, dass die Herren von der Sorbonne aufhören, zu sticheln und zu hetzen. Soweit ich weiß, ist Seine Majestät noch immer krank und in Paris. Dann fühlen sich die Poitiers und ihre Schergen überlegen, und Mallêt ist zurzeit hier in Fontainebleau.«
»Dieser Widerling!«, schimpfte Jules leise. »Er hat es geschafft, seinen Sohn Guy als Sekretär bei Kardinal Tournon unterzubringen.«
»Noch eine Ratte, die sich am kirchlichen Busen nährt.«
»Und wenn sie fett genug ist, wird sie genauso beißen wie ihr Herr. Ah, mein Freund, was nützt es, hier zu lamentieren, wir müssen stark werden, mehr Anhänger finden, damit unsere Stimme nicht mehr überhört werden kann!« Jules’ Augen leuchteten. Er legte Armido die Hände auf die Schultern. »Wir werden unsere Botschaft verkünden, jedem, der
sie hören will! Und irgendwann werden sie uns dafür nicht mehr töten können, weil es zu viele von uns gibt.«
Armido wünschte sich das nicht weniger als sein eifriger französischer Freund, doch die Realität war ernüchternd – die Gemeinden der »Armen von Lyon« waren klein und über Frankreich, Italien und die deutschen Lande verstreut. Und auch die sehr viel größere Gruppe der Lutheraner war noch immer massiven Anfechtungen seitens der katholischen Kirche ausgesetzt. Nein, die katholische Kirche würde nicht einfach zusehen und klein beigeben, das hatte sie noch nie getan. »Irgendwann, Jules. Aber jetzt musst du verschwinden, damit man uns nicht der Konspiration anklagen kann.« Er versteckte das Buch in seinem ledernen Arbeitskittel.
»Im Wald von Fontainebleau, am Rand des Birkenhains, Mittwochnacht.« Damit verabschiedete sich Jules Dubray von Armido, wartete, bis alle Arbeiter beschäftigt waren, und rannte dann auf die nächste Baumgruppe zu.
Die beiden Wachen waren noch nicht vom See zurück, und Armido wartete so lange, bis er seinen Freund nicht mehr sehen konnte und in Sicherheit wähnte. Erst dann machte er sich leise fluchend auf den Rückweg. Bevor er sich in der Galerie sehen lassen konnte, musste er die Bibel verstecken, was eine weitere Verzögerung und noch mehr Ärger mit Meister Rosso bedeutete, der Verspätungen hasste.
Als Armido später durch das letzte der königlichen Gemächer lief, um in die Galerie zu treten, hörte er den Meister bereits. Rosso schien guter Stimmung und mit den Arbeiten zufrieden. Hoffnungsvoll steckte Armido den Kopf zur Tür hinein.
»Ah, beehrt Ihr uns mit Eurer Anwesenheit? Wie schön.« Rossos Ton war zynisch, aber er lächelte. »Wir haben von diesem reizenden Kind gehört, warum Ihr nicht kommen konntet. Geht es Euch besser?«
Verwirrt kam Armido näher und warf Josette, die mit Unschuldsmiene an ein Gerüst gelehnt stand, einen um Auf klärung bittenden Blick zu. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als mitzuspielen. »Ja, Meister, danke.« Er räusperte sich und gesellte sich zu Scibec de Carpi.
Rosso Fiorentino hatte das Auftreten eines Fürsten, und wie ein solcher wurde er von Franz I. behandelt und so reich entlohnt, dass er sich ein
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