Die Malerin von Fontainebleau
Ballsaal, der Kapelle und am hinteren Ende dem Saal der Wachen.
Im Stockwerk über der Galerie befand sich die umfangreiche Bibliothek, die mit Tausenden wertvollen Bänden ein einzigartiges Kompendium des derzeitigen Wissenschaftsstands bot. Geleitet wurde sie von Guillaume Budé und dem für Franz I. in Mailand tätigen Griechen Andreas Johannes Lascaris. Seit der vor kurzem erlassenen »Verfügung von Montpellier« mussten Drucker und Buchhändler von jedem Werk eine Kopie an den Bibliothekar von Fontainebleau übersenden. Seltene Schriften wurden von Gesandten und Botschaftern aus Italien und dem Nahen Osten gebracht. Auch eine Druckerei gehörte zur Bibliothek, was im Zuge des königlichen Bildungsprogramms bemerkenswert war. Im Untergeschoss der Galerie lagen die Bäder, die in Luxus und Umfang als einzigartig in Europa galten.
Die Gartenanlagen waren noch im Planungsstadium. Von einem strukturierten Park konnte man nicht sprechen, aber die Ausmaße der Schlossanlage würden gewaltig sein. Der König hatte Ländereien der benachbarten Abtei aufgekauft, nicht nur, um seine Jagdgründe zu erweitern, sondern auch, um einen größeren Fischteich und verschiedene Gärten anzulegen. An einem Ende der zukünftigen Parklandschaft entsprang auch die Quelle, der das Schloss seinen Namen verdankte. Josette hatte Armido die Legende erzählt, die sich darum rankte. Bereits im elften Jahrhundert nutzten die französischen Monarchen, die im Schloss von Melun wohnten, die guten Jagdmöglichkeiten im nahegelegenen Wald
von Brière. Bei einer solchen Jagd war mit einem Mal Bleau, der Lieblingshund des Königs, verschwunden. Man fand das Tier mitten im Wald, wo es sich an einer bis dato unbekannten Quelle erfrischte. Zu Ehren ihres »Entdeckers« nannte man die Quelle Fontaine-de-Bleau und ließ hier später die ersten königlichen Jagdhäuser errichten.
Armido fuhr sich durch die Haare, die ihm während des Laufens ins Gesicht gefallen waren. Die Mittagssonne strahlte warm durch die offenen Fenster, und er spürte, wie ihm der Schweiß auf die Stirn trat.
Die dreistöckigen Pavillons des Schlosses waren durch niedrigere Bauteile verbunden, und überall gab es Treppen und schmale Flure, ein Labyrinth, das sich Armido inzwischen erschlossen hatte. Außer Atem sprang er eine enge Treppenflucht hinunter und stieß eine Tür neben dem Uhrenturm auf. Die frische Luft des Herbstes schlug ihm entgegen, und er atmete tief durch. Eine Allee zog sich entlang des Sees, die Gärtner hatten mit dem Trimmen einiger Hecken begonnen, und Grabungen und gefällte Bäume deuteten auf die geplanten Änderungen der Parkanlage hin. In einiger Entfernung hackte jemand Holz, und ein Bursche führte ein Pferd, das einen mit Ästen und Steinen beladenen Karren zog, auf die provisorischen Lagerhallen am Rande des Parks zu. Suchend drehte Armido sich in alle Richtungen, doch von Jules war nichts zu sehen.
Der helle Sandstein der dicken Schlossmauern hob sich im Sonnenlicht von den grauen Dächern ab, eine Architektur, an die sich Armido erst hatte gewöhnen müssen. Er vermisste die warmen Farben der Toskana.
»Armido!«, rief jemand leise, und kurz zeigte Jules sein Gesicht. Er hatte sich in einer von Efeu umrankten Baumgruppe neben dem Turm versteckt.
Armido sah sich um, doch die Arbeiter waren beschäftigt,
und von den Hofleuten war niemand zu sehen. Rasch trat er zu seinem Freund hinter die Bäume. Die beiden Männer umarmten sich kurz, dann holte Jules mit ernster Miene ein verschnürtes Päckchen aus seinem Wams. Es hatte die Form eines Buches.
»Hier, mein Freund. Das ist eine Abschrift der Bibel von Olivétan. Hüte sie gut. Viele Exemplare sind nicht im Umlauf. Dazugelegt habe ich dir auch unsere wichtigsten Regeln, damit du sie bis zum nächsten Treffen auswendig lernen kannst.« Jules, schlank und hochgewachsen, mit braunen Haaren und blauen Augen, drückte Armido das Buch in die Hand.
Das unerwartete Geschenk wog schwer, und Armido fragte sich sofort, wie er es am besten vor den Hofspionen verbergen konnte. »Danke, Jules, aber du hättest nicht kommen sollen. Ich hätte bald eine Möglichkeit gefunden, euch in Paris aufzusuchen.«
»Ein barbe kommt nächste Woche, deshalb die Eile. Das ist ein großer Glücksfall, weil er dich in unsere Gemeinschaft aufnehmen kann und weil es immer weniger Prediger gibt, die sich bis hier herauf trauen.«
Die Prediger der »Armen von Lyon«, wie sich die protestantische Glaubensgemeinschaft nannte,
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