Die Malerin von Fontainebleau
Geschmack gewöhnt.«
»Muskateller, kräftig. Auf unser herrliches Italien!« Scibec leerte seinen Becher in einem Zug. Seine Wangen waren bereits gerötet und die Augen glasig.
Unwilliges Gemurmel erhob sich auf der anderen Seite des Tisches, an der Thiry und einige französische Maler saßen.
Armido nahm den Wasserkrug und füllte damit den Becher seines Freundes. »Hier, trink das und iss von dem Lamm. Das ist ausgezeichnet. Was ist los mit dir?«
Scibec nahm seine Kappe ab und rieb sich die kurzen Haare. »Ich habe Heimweh. Meine jüngste Tochter hat geheiratet, und ich hätte dabei sein sollen. Verflucht! Manchmal habe ich dieses Vagabundenleben satt.« Er hob den Becher an die Lippen, setzte ihn jedoch rasch wieder ab. »Was ist das denn?« Schwungvoll kippte er das Wasser hinter sich auf den Boden und griff nach dem Muskateller. Ein Hund jaulte auf. Auf dem Hof und im Erdgeschoss fanden sich ständig große und kleine Hunde und Katzen, deren Aufgabe das Dezimieren der Ratten und Mäuse war. Das Ungeziefer war jedoch so dreist, dass man es dennoch oft genug über Tische und hinter Truhen und Schränke huschen sah.
Als Gemüsebeilage gab es heute Wirsingkohl, den Armido besonders mochte, vor allem, wenn die Köchin den Kohl nicht gänzlich zerkocht hatte. Mit dem Messer spießte er mehrere Stücke aus einer Schüssel auf und legte sie auf seinen Teller. An der königlichen Tafel hatte er bereits zweizinkige Gabeln gesehen, die in Italien schon seit einigen Jahren in Mode waren. Nun, es dauert alles etwas länger hier im Norden, dachte Armido und stieß Scibec an, der schon wieder angriffslustig Richtung Thiry starrte. Glücklicherweise entdeckte dieser sein Interesse für eine junge Magd, die mit
zwei Weinkrügen an den Tisch kam. Da sie nicht schüchtern war, über ein pralles Dekolleté verfügte und gegen Kniffe und derbe Zoten nichts einzuwenden hatte, waren die Niederländer und Franzosen um Thiry allzu abgelenkt, um noch länger auf den weinseligen Scibec zu achten.
Wo war Luisa heute Abend? Sie blieb des Öfteren länger in der Galerie, um zu zeichnen, was Armido nur ungern sah, wollte er doch nicht, dass sie unnötig Aufmerksamkeit auf sich zog. Seit sie hier war, hatte sich sein Leben verändert. Luisa betonte zwar ständig, dass sie gut auf sich allein aufpassen könne, aber er wusste es besser. Im Grunde hätte er sie sofort nach Siena zurückschicken sollen. In ihrer Hosenrolle fühlte sie sich sicher, doch jederzeit konnte jemand herausfinden, dass sie eine Frau war, und dann hätte auch er selbst mehr Fragen zu beantworten, als ihm lieb sein konnte. Armido seufzte. Sie war so glücklich, wenn sie zeichnete, und seine Schwester war gut, sehr gut sogar. Schon als kleines Mädchen war ihre Begabung deutlich geworden, und es hatte ihm immer in der Seele wehgetan, das wissbegierige Kind zu entmutigen. Als Mädchen blieb ihr der Weg in die Werkstätten der Meister verschlossen.
Er erinnerte sich an jenen Tag in Volterra, als sie verzückt vor Meister Rossos Kreuzabnahme gestanden hatte. Ihre Reaktion hatte ihn verwundert und berührt, was musste Rossos Gemälde für sie bedeutet haben? Seine kleine Schwester war eine besessene Künstlerin, keine Frage, aber dieses Schloss war eine Schlangengrube, und er konnte nicht verantworten, dass sie einer der bissigen Vipern zum Opfer fiel. Schnell aß er auf und sagte: »Bin gleich zurück, Francesco. Heb mir noch etwas Wein auf!«
Scibec nickte abwesend. Von den über dreißig Männern waren die meisten mit Essen oder Trinken beschäftigt und nahmen keine Notiz von Armido, der aufstand und den
Speisesaal durch die Küche verließ. In den Gängen war es empfindlich kalt. In der Galerie wurde mit Kohlebecken für etwas Wärme gesorgt, was Meister Rosso jedoch mit gemischten Gefühlen sah. Er ließ nur so viele Kohlebecken zu, dass der Trocknungsprozess der Fresken kaum beeinflusst wurde.
An Fässern mit Salz und Kisten voller Rüben und Kohlköpfen vorbei ging Armido hinauf in die Galerieetage. Er öffnete eine schmale Tür und trat in den spärlich erleuchteten Gang vor den königlichen Gemächern.
Ein älterer Kammerdiener kam mit zwei jungen Burschen, die Bettwäsche und Nachtgeschirr trugen, um die Ecke. Die drei gingen in die königlichen Gemächer, die im alten Donjon, dem gewaltigen Turm, lagen. Josette hatte davon gesprochen, dass der König mit Gefolge am morgigen Tag erwartet wurde, denn der Hofstaat war im Louvre geblieben, wo ein Maskenball
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