Die Malerin von Fontainebleau
sich in alle Richtungen. »Sinn und Bedeutung des Ganzen erschließen sich nur, wenn man sich einlässt auf diese große Komposition, dieses Konzert aus Farben, Formen und Raum! Der Raum, versteht Ihr? Der gesamte Raum ist das Kunstwerk! Und jedes Element für sich genommen ebenfalls, aber nur zusammen ergibt es Sinn!«
Er winkte sie zu sich. »Stellt Euch hierher. Was seht Ihr?«
Sie blickten auf die nördliche Wand, an der bereits drei Fresken fertiggestellt waren. »Die Vénus frustrée , die Erziehung des Achilles und daneben die Rache des Nauplius .« Eingebettet waren die Fresken in Rahmungen aus gegossenen Zierleisten, die wiederum von Stuckreliefs getragen wurden und sich mit bemalten Mosaiken schnitten.
»Ah, da ist viel mehr!« Rosso ging zum Fresko der Venus.
Luisa folgte ihm und hoffte, er werde ihre Zeichnung nicht entdecken, die auf der Bank hinter ihnen lag.
»Diese Galerie habe ich zu Ehren Seiner Majestät konzipiert.
Mythologie und Rätselhaftigkeit gefallen Seiner Majestät, und nicht jeder, der hier zum ersten Mal steht, wird erkennen, was dargestellt ist. Das Vordergründige, natürlich. Wer belesen ist, erkennt die Venus, die uns mit einladender Geste von der weiblichen Karyatide, die Euer Bruder wirklich hervorragend gestaltet hat, präsentiert wird. Unsere Venus steht vor dem schlafenden Amor. Sie ist von ihrem Liebhaber Mars verlassen worden. Amoretten tragen die Waffen des Kriegsgottes, der in den Krieg ziehen muss, und Venus ringt verzweifelt die Hände.« Rosso legte den Kopf schräg. »Aber ich hatte einen Grund, gerade diese Szene zu wählen.«
Sie wartete. Es war faszinierend, den Worten des Meisters zu lauschen, und sie wollte ihn keinesfalls unterbrechen. Zu kostbar war ihr dieser seltene Moment von fast intimer Zweisamkeit mit Rosso Fiorentino, den sie mehr bewunderte als jeden anderen lebenden Künstler. Und auch wenn es unsinnig war, schlug ihr Herz in seiner Nähe schneller. Verstohlen musterte sie ihn von der Seite und strich in Gedanken über sein ebenmäßiges Profil.
»Die verzweifelte Venus und ihr Kriegsgott verweisen auf den Krieg mit Karl. Anfang letzten Jahres wurden die Kampfhandlungen wieder aufgenommen. Immer wieder Karl. Diese ewige Rivalität überschattet das Leben Seiner Majestät. Alles, was er tut, hat nur einen Zweck – den Kaiser zu übertrumpfen.«
Luisa wusste, dass die Kaiserwahl vor achtzehn Jahren und die Niederlage bei Pavia sechs Jahre später Franz tief getroffen hatten und schuld am Zerwürfnis zwischen Frankreich und dem Habsburger Reich waren. Franz I. hatte die lange Gefangenschaft in Madrid nie verwunden. Sein Hass auf Karl für diese Demütigung musste grenzenlos sein. Und trotzdem liebte dieser französische König das Leben, die
Kunst und Italien. Letzteres war schließlich der Grund, warum sie hier waren. »Wie ist Seine Majestät?«
»Wie? Oh, ein Herrscher, der sich seines Erbes und seiner Verantwortung bewusst ist, aber auch ein Mensch, der Prunk und Vergnügen liebt – ein König eben.« Der Künstler lächelte und zeigte auf den goldenen Salamander, der sich aus seinem Stuckrahmen herauszuwinden schien. »Der Salamander verkörpert die Unverwundbarkeit durch das Feuer und hat die Macht, Feuer zu löschen – nutrio et extinguo .«
Luisa hatte den Wahlspruch schon oft gelesen, aber nie darüber nachgedacht. »Was so viel bedeutet wie, ich ernähre und zerstöre. Ist Franz ein gerechter König?«
Rosso lachte. »Ihr solltet Euch selbst ein Urteil bilden, mein hübscher Luca. Am nächsten Sonntag findet im Louvre ein Fest statt, ein Maskenball. Ich selbst habe die Masken entworfen.«
Stimmen und das Geklapper von Pferdehufen kündigten neue Besucher an, und Rosso trat zum Fenster auf der gegenüberliegenden Seite. »Ah, Pellegrino. Ich habe ganz vergessen, weshalb ich gekommen bin. Also, Ihr könnt Euren Bruder begleiten. Ich habe meine wichtigsten Mitarbeiter eingeladen.« Während er vom Fenster zurücktrat und zum Ausgang ging, sagte er noch: »Die Zeichnung ist gut. Vielleicht habe ich eine Aufgabe für Euch.«
Armido saß neben Scibec auf einer der langen Bänke im Speiseraum neben der Küche. Der Duft von gebratenem Lamm stieg ihm in die Nase, und er nahm sich ein neues Stück von dem großzügig belegten Tablett in der Tischmitte. Auch mit Wein und Bier wurden die Künstler reichlich bedacht.
Scibec bediente sich mit Rotwein, und Armido tippte an
seinen Becher. »Gib mir auch noch etwas. Ich habe mich an den
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