Die Malerin von Fontainebleau
Jahr ergangen ist?«
Jules und Aleyd schüttelten den Kopf, doch Robert fragte: »Wem?«
Aleyd erklärte: »Martin Gonin war einer unserer Brüder und auf dem Weg von Genf nach Angrogna. Dort hat ihn der Sieur de Champoléon gefangen genommen und behauptet,
er sei ein Spion. Gonin hatte reformatorische Schriften bei sich und wurde nach kurzer Anhörung in Grenoble nachts in der Isère ertränkt.«
»Mein Gott. Und es gab nicht einmal einen Prozess?« Robert Estienne war entsetzt.
»Das wundert dich? Nach der Plakataffäre hier in Paris ist mein Vertrauen in Gerechtigkeit oder die Weitsicht des Königs zerstört.« Jules war wütend. »Hast du nicht selbst Freunde auf dem Scheiterhaufen brennen sehen?«
Robert hob abwehrend die Hände. »Ja. Ich hatte gehofft …«
»Hoffen? Nach allem, was geschehen ist, hast du noch Hoffnung?« Jules brüllte die letzten Worte geradezu.
»Hör auf! Jules, beruhige dich!« Der barbe stand auf und packte Jules bei den Schultern. »Natürlich hoffen wir auf eine Veränderung der Verhältnisse. Was wären wir denn ohne Hoffnung?«
Aleyd sagte ruhig: »Jules, wir dürfen uns nicht hinreißen lassen. Wir mussten unseren Glauben bisher im Verborgenen leben. Wenn wir Reformierte werden, dann genießen wir den Schutz der deutschen Fürsten. Es sind mehr, und ihre Stimmen können irgendwann nicht mehr überhört werden. Sie können doch nicht alle töten!«
»Du auch? Willst du uns auch verraten?« Enttäuschung stand in Jules’ Augen, und er machte sich aus dem Griff des barbe frei.
»Nein. Keiner von uns will unseren Glauben aufgeben. Das weißt du auch. Aber wir können doch unter dem Mantel der Reformation leben, und wenn die Zeiten sich ändern, sprechen wir für uns und bekennen uns!« Seine Schwester sah barbe George um Zustimmung ersuchend an.
Dieser nickte. »Genauso ist es, Bruder. Chanforan war ein erster Schritt in diese Richtung. Mit der Resolution haben
wir uns den Reformierten angenähert. Franz’ Schwester wird sich für uns einsetzen. Sie befürwortet die …«
»Gar nichts wird sie tun!«, unterbrach Jules ihn. »Denn sie kann nichts mehr tun! Franz hört nicht mehr auf sie. Unser König ist besessen von seinem Hass auf Karl und von Italien! Ihm ist völlig egal, was aus uns wird, solange er seine Prachtschlösser finanzieren kann und nicht um seine Macht fürchten muss!«
Jetzt war es an Robert zu widersprechen. »Du solltest in deinem Zorn nicht ungerecht werden. Franz hat die Einsetzung Graf Wilhelm von Fürstenbergs als französischen Gouverneurs im Clusontal befürwortet. Farel führt dort die Verwaltungsgeschäfte.«
»Farel?« Jules und Aleyd waren überrascht, denn Guillaume Farel war einer der führenden Reformatoren und ein Anhänger Johann Calvins.
»Gauchier Farel, Guillaumes Bruder. Franz duldet die Einmischung Farels in unseren Tälern, obwohl er weiß, dass Farel die Reformierten unterstützt.«
»Seit wann leitet Gauchier die Verwaltung?«, fragte Jules.
»Fürstenberg ist seit wenigen Wochen Gouverneur, und Gauchier Farel ist mit ihm gegangen. Er ist schon seit zwei Jahren im Dienst des Grafen.«
»Na schön, Robert«, meinte Jules. »Dann duldet unser König, dass wir in den Tälern leben und unsere Religion als Reformierte ausüben. Aber trotzdem sollten wir unsere Identität nicht aufgeben. Wir sind keine Lutheraner! Wir haben unseren eigenen Glauben und leben nach unseren Regeln!«
»Und wenn es uns alle das Leben kostet, Jules? Willst du das?«, fragte Aleyd sanft.
Er sah seine schöne Schwester an, die er über alles liebte. Sie waren zusammen zur Schule gegangen, und ihr Vater, selbst ein anerkannter barbe , der im vergangenen Jahr während
einer Befragung gestorben war, hatte sein Wissen an sie beide weitergegeben. Aleyd war eine Kämpferin und genauso von ihrem Glauben überzeugt wie er. Und sie war sein Gewissen, die mahnende Stimme, die ihn zur Besinnung brachte, wenn seine Wut ihn blind für die Realität machte. »Nein, Aleyd. Zu viele mussten bereits sterben.« Jules atmete tief durch. »Ich habe Armido Olivétans Bibel gegeben. Er wird bei unserer nächsten Zusammenkunft im Wald von Fontainebleau dabei sein.«
»Dem Italiener? War das klug? Man könnte die Schrift im Schloss entdecken!«, warf George ein.
»Er weiß auf sich achtzugeben. Es ist wichtig, neue Brüder zu gewinnen. Außerdem wird niemand vermuten, dass er das Buch hat.« Jules vertraute Armido, über dessen aufrichtiges Interesse an den »Armen« ihm
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