Die Malerin von Fontainebleau
Mann überschätzte und bis an die äußerste Grenze strapazierte. Sie hätte eine Entschuldigung vorbringen können, und sie beide wären nicht in diese missliche Lage geraten. »Nein«, zischte er leise zurück, denn vor ihnen ritten verschiedene Höflinge, die er nicht kannte, ein venezianischer Botschafter und Jean de Mallêt. Ein falsches Wort, und der Adlige wäre überglücklich, sie auszuliefern. »Nein, aber du hättest ablehnen können! Was denkst du nur! Du bist kein Mann, nur ein dummes Mädchen, das bis jetzt unverschämtes Glück gehabt hat!«
»Wenigstens trage ich keine ketzerischen Dokumente mit mir herum!«
»Sei still!« Furchtsam sah Armido sich um, doch die Jagdhörner, das Hundegebell und Dutzende Pferdehufe auf hartem Boden ließen ihre Worte untergehen. Eine Gruppe Hofdamen ritt in der Nähe des Königs auf gemütlichen Zeltern. Für die Jagdgesellschaft würden auf einer Lichtung Feuer angezündet und Tische aufgestellt werden, an denen bis zum Ende der Jagd getafelt werden konnte. Armido wunderte sich, dass den Damen die Kälte nichts anzuhaben schien, aber er wusste auch, dass sie es gewohnt waren, den königlichen Tross durch Frankreich zu begleiten.
Der Weg wurde so schmal, dass nur zwei Pferde nebeneinander gehen konnten. Luisa drängte ihren Braunen neben das Tier ihres Bruders. »Du kannst mir nicht immer ausweichen, du musst mir endlich sagen, was du vorhast, Armido. Wenn ich nicht weiß, was du treibst, kann ich dir im schlimmsten Fall auch nicht helfen.« Bislang hatte Armido stets mit Ausflüchten auf ihre Fragen geantwortet, oder er
war erst in sein Quartier gekommen, nachdem sie längst eingeschlafen war.
»Ich habe nichts vor. Ich …« Er durfte seine Schwester keiner zusätzlichen Gefahr aussetzen. »Es geht um eine Frau.«
»Was hat das Dokument denn mit einer Frau zu tun?«
»Ich liebe diese Frau. Aber sie gehört zu den ›Armen von Lyon‹, und deshalb werde ich konvertieren. Das ist alles.« Sein Pferd schnaubte, und der warme Atem stieg sichtbar in die kalte Morgenluft.
»Einer Frau wegen willst du zum Ketzer werden und dein Leben aufs Spiel setzen? Das glaube ich dir nicht!«
Armido drehte sich ängstlich um, doch die beiden jungen Edelleute hinter ihnen lachten und tauschten Blicke mit den ihnen folgenden Damen. »Bitte! Nicht hier und jetzt! Später.«
»Versprochen?«
Er nickte. »Halte dich während der Jagd hinter mir oder, noch besser, bleib bei den Damen am Tisch.«
»O nein! Das ist meine erste Jagd! Ich will sehen, wie sie den Hirsch erlegen!« Und sie wollte in Meister Rossos Nähe sein.
»Dann verhalte dich wie ein Mann! Töten ist eine blutige Angelegenheit.«
Die Jagdgesellschaft machte auf einer unbewaldeten Anhöhe Halt. Von hier aus hatte man eine gute Sicht auf den nun vor ihnen liegenden Mischwald, aus dem sich an mehreren Stellen zerklüftete Felsmassive erhoben. Die Jäger hatten immer größere Mühe, die Hundemeute zu bändigen, die den nahen Jagdbeginn spürte. Die Edelleute halfen den Damen von den Pferden, und derselbe Mann, der im Schloss die Quartiere eingeteilt hatte, übernahm die Organisation des Lagerplatzes. Die Maultiere wurden von ihren Lasten befreit, und Diener bauten drei lange Tafeln auf. Etwas unterhalb
des Plateaus floss ein kleiner Bach, an dem die Hunde bereits gierig ihren Durst löschten. Die Reiter gestatteten nun auch ihren Pferden zu trinken.
Luisa hielt sich mühevoll im Sattel, während ihr Tier den Kopf senkte.
»Ihr reitet wohl nicht oft?«
Der starke italienische Akzent ließ Luisa aufhorchen, und sie antwortete in ihrer Muttersprache: »Nein, Signore. Und ich bin auch zum ersten Mal auf der Jagd.«
»Marino Giustiniani, Botschafter Venedigs und meines Amtes müde, aber verratet das niemandem, junger Freund.« Der Botschafter saß auf einem schlanken Grauen und fasste sich mit gequälter Miene an den Rücken. Seine Kleidung entsprach der italienischen Mode und war edel, aber viel schlichter als die Gewänder der französischen Höflinge. Der Mann hatte einen grauen Spitzbart und lächelte verschmitzt.
Armido trabte heran, und Luisa stellte ihn vor: »Signor Giustiniani ist Botschafter der Republik Venedig, Armido. Mein Bruder, Armido Paserini. Wir sind Künstler«, fügte sie voller Stolz hinzu.
Giustiniani schnalzte mit der Zunge, damit sein Pferd den Kopf hob. Als er bequemer im Sattel saß, sagte er: »Die Brüder Paserini. Ich war dabei, als Meister Rosso Seiner Majestät die Galerie gezeigt hat.
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