Die Malerin von Fontainebleau
Und ich habe geklopft, Monsieur.«
Hatte er etwas gesehen? Luisa suchte nach Anzeichen in seinem blassen Gesicht, entdeckte jedoch nur ein unterwürfiges Lächeln. Vielleicht konnte er gar nicht lesen. Wie viele Diener konnten schon lesen oder gar schreiben! »Ich komme sofort, danke.« Sie machte keine Anstalten, sich zu erheben, sondern wartete, bis Didier sich mit einer Verbeugung entfernt hatte.
Was war nur los mit Armido, dass er diesen kompromittierenden Text hier vergessen konnte? Rasch faltete sie das Blatt zusammen und verstaute es in ihrem Wams. Kopfschüttelnd stand sie auf, aß einen Löffel Grütze und machte sich auf den Weg in die Galerie des Königs.
Meister Rosso selbst war noch nicht anwesend, doch hatte er Order geben lassen, dass alle ihren Arbeitsplatz aufräumen und überflüssiges Gerät aus der Galerie schaffen sollten,
um dem König ungehinderten Zutritt zu den schon fertigen Werken zu gewähren. Des Weiteren sollte jeder wie gewohnt seiner Tätigkeit nachgehen.
Vor den ersten beiden Freskenpaaren standen bereits keine Gerüste mehr. Bei dem dritten Paar, welches Le Naufrage , den Schiffbruch, im Norden und La Mort d’Adonis , den Tod des Adonis, im Süden darstellte, waren noch Kleinigkeiten an den Dekorationen zu korrigieren. Armido stand auf einer Leiter vor dem Schiff bruch , der auch Rache des Nauplius genannt wurde. Thiry war auf der gegenüberliegenden Seite beschäftigt, Dutzende Handwerker eilten hin und her. Hier und dort klopfte jemand Gipsreste ab, ein Diener fegte den Staub zusammen. Auf dem Teil des Fußbodens, der noch nicht fertig war, sollten Tücher ausgebreitet werden.
»Armido!«, rief sie hinauf.
Ihr Bruder drehte den Kopf. »Was ist? Gib mir den Spachtel, der in der Kiste liegt.«
Sie kletterte hinter ihm die Leiter hinauf und reichte ihm das gewünschte Werkzeug. »Armido, ich habe diese Resolution von Chanforan bei dir gefunden. Was hat das zu bedeuten?«
Erschrocken wandte er den Kopf. Fast hätte er das Gleichgewicht verloren. »Um Gottes willen, sei still! Wo ist sie jetzt?«
Sie klopfte auf ihr Wams. »Sie lag unter deinem Hemd. Ich habe nicht geschnüffelt.«
Seine Hände waren plötzlich feucht. Wie auch immer sie das Papier gefunden hatte, er hatte vergessen, es zu verbergen, und das war unverzeihlich. Mit einer schwungvollen Bewegung strich er den Mörtel in eine Rille und wischte mit seinem Ärmel die Kanten glatt. »Hör zu.« Er beugte sich dicht zu ihr. »Kein Wort darüber. Ich erkläre dir später alles. Gib her.«
Sie nestelte an ihrem Wams, doch jemand ruckte an der Leiter.
»Eh, ihr zwei Turteltäubchen. Seid ihr fertig, oder kann ich helfen?« Pellegrino stand unten mit seinem Gehilfen, einem untersetzten Florentiner.
Schnell zog Luisa die Hand aus dem Wams und sprang behände die Leiter hinunter. Armido folgte ihr und nahm die Leiter von der Wand. Prüfend warf er danach einen Blick auf die verputzten Bereiche neben dem Fresko.
»Zufrieden, Paserini?«, fragte Pellegrino.
Armido nickte.
»Gut.« Pellegrino wandte sich an Luisa. »Der Meister sagt, Ihr könnt zeichnen, und trägt Euch auf, die Büste Seiner Majestät zu kopieren.«
»Jetzt sofort?« Überrascht starrte Luisa Pellegrino an, der die Augen verdrehte.
»Natürlich sofort. Setzt Euch dort auf die Bank und zeichnet.« Er schüttelte ein nicht vorhandenes Haar von seinem Ärmel, dessen Brokatstoff im Licht der aufgehenden Sonne schimmerte.
Sobald Tageslicht durch die hohen Fenster der Galerie fiel, veränderte sich der Raum und gewann eine luftige Leichtigkeit, die an eine offene Loggia denken ließ. Luisa sah Hilfe suchend zu Armido, doch der bürstete die Stuckaturen ab. Pellegrino ließ sie leicht verwirrt stehen und erteilte weiter seine Befehle.
Nun, wenn sie zeichnen sollte, würde sie das eben tun. Luisa holte sich eine Tafel und Kreide, befestigte ein Blatt Papier und ging zu der Bank, die schräg gegenüber einem der königlichen Kabinette stand. Oberhalb der Tür stand die Büste Franz’ I. und blickte würdevoll in den Raum. Luisa machte sich ans Werk und vergaß die Geräusche und Bewegungen um sie herum. Wie viel Zeit verstrichen war, hätte
sie nicht zu sagen vermocht, so versunken war sie in ihre Arbeit, doch als sie aufblickte, weil es plötzlich still geworden war, schien ihr die Sonne hell ins Gesicht.
Sie blinzelte und legte die Kreide nieder. Seine Majestät Franz I., König von Frankreich, stand hinter einem mit Orden geschmückten Höfling
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