Die Malerin von Fontainebleau
die dem Gespräch aufmerksam folgten.
Der König machte eine ausgreifende Geste. »Hier müssen die großen Geister der Antike wiederbelebt werden! Was oben in der Bibliothek literarisch versammelt ist, soll sich hier in Marmor zeigen. Wenn meine Agenten nicht schon damit beschäftigt wären, würde ich sofort jemanden nach Italien schicken, um römische Büsten einzukaufen.«
Es raschelte, wenn sich die Männer und Frauen in ihren kostbaren Gewändern bewegten. Alle trugen Mäntel, und die Frauen wärmten ihre Hände in Hermelin- oder Fuchsstolen.
»Eine Büste haben wir bereits hier, und sie ist, mit Verlaub, die bedeutendste in dieser Galerie.« Rosso hob den Blick in Richtung des Türrahmens, über dem Franz’ Büste stand.
Beifälliges Gemurmel erklang aus den Reihen des Hofstaats. Franz nickte. »Im Zentrum der Galerie und im Durchgang zu meinen Kabinetten. Seht euch nur um, mesdames et messieurs , sobald Meister Rosso sein Werk vollendet hat, könnt ihr es nur noch in meiner Begleitung sehen.«
Ausrufe des Bedauerns erklangen. Eine der Hofdamen, eine zierliche Brünette, deren Nasenspitze von der Kälte bereits rot war, sagte: »Aber Monsieur! Wie könnt Ihr nur so grausam sein und uns diesen Genuss verwehren!«
»Vielleicht erweise ich Euch meine Gunst. Nur ich besitze den Schlüssel. Findet einen Weg, mich zu überzeugen, Madame.« Mit einem vielsagenden Lächeln drehte er sich um, die Situation anscheinend genießend, und entdeckte Luisa, die vorgab, sich auf ihre Zeichnung zu konzentrieren. »Und wer ist dieser junge Knabe, Meister Rosso?«
Als plötzlich die beiden Männer vor ihr standen, die sie am meisten verehrte, wäre sie am liebsten im Boden versunken. Rosso Fiorentino legte ihr eine Hand auf die Schulter und nahm ihr das Zeichenbrett aus der Hand.
»Das, Sire, ist Luca Paserini, der Bruder meines trefflichen Stukkadors aus Siena. Luca versteht sich besonders auf das Zeichnen, aber seht selbst.«
Der König begutachtete das Porträt, das Luisa nach seiner Büste gezeichnet hatte. Währenddessen brannte ihre Haut unter der Wärme von Rossos Hand auf ihrer Schulter.
»Wahrhaftig. Wenn ich so aussehe, müssen mich die Damen tatsächlich um meiner selbst willen verehren! Malt es in Öl!«
Ein solches Lob vom König zu erhalten war unerhört für
jemanden wie Luisa, einen unbedeutenden Lehrling. Sie konnte nicht verhindern, dass sie errötete, und senkte den Kopf. Rosso gab ihr das Brett zurück.
»Bravo. Über ein Gemälde sprechen wir noch, Luca.«
Dort, wo Rossos Hand gelegen hatte, war es kalt, und Luisa stand wie versteinert, außerstande zu antworten. Stumm sah sie dem Meister nach, der Franz erklärte, wie die Stuckaturen angebracht werden sollten. Da fiel ihr wieder ein, was sie heute Morgen entdeckt hatte. Ihr Bruder brachte sich und sie mit seinem unbedachten Verhalten in Gefahr, und diese einmalige Gelegenheit einer Zusammenarbeit mit Rosso wollte sie weniger denn je verlieren.
IX
Die Jagd
A n einem kalten Dezembermorgen im Jahre des Herrn 1537 ging Franz I. auf die Jagd im Wald von Fontainebleau. Der König hatte sich anscheinend gut erholt von seiner Krankheit, die ihn im Sommer gezwungen hatte, das Schlachtfeld bei Thérouanne zu verlassen.
Luisa war glücklich, im Gegensatz zu ihrem Bruder, der nicht aufhörte, ihr verärgerte Blicke zuzuwerfen. Als Luca hatte sie sich die Anerkennung des Meisters und die Aufmerksamkeit des Königs erworben und saß mit roten Wangen im Sattel eines braunen Reitpferds, dessen geschmeidiger Gang es ihr leicht machte, sich an die ungewohnte Haltung zu gewöhnen. Meister Rosso hatte ihr das Privileg zuteil werden lassen, an der Hirschjagd teilzunehmen.
Die Jagdgesellschaft war klein, fast intim, wenn man bedachte, dass die Vorbereitungen sonst Tage brauchten und mindestens zweihundert Personen umfassten. Einer von Franz’ Jagdjunkern hatte gestern Abend von einem kapitalen Hirsch berichtet, den er gesichtet hatte. Von einem Achtender war die Rede. Luisa verstand nichts von der Jagd und konnte die Aufregung nicht ganz verstehen. In Siena gingen die Paserini nicht auf die Jagd. Sie kauften ihr Fleisch auf dem Markt.
»Armido! Jetzt sieh mich nicht so an! Es war doch nicht meine Idee mitzukommen!«
Armido war ein guter Reiter. Unter anderen Umständen hätte er diese seltene Gelegenheit, mit dem französischen König auf die Jagd zu gehen, geschätzt. Stattdessen musste er auf seine unvernünftige Schwester aufpassen, die ihre Tarnung als
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