Die Malerin von Fontainebleau
dafür zu sterben? Ich meine, ich gehe brav in die Kirche, aber was ich denke, ist meine Sache.« Er grinste.
Aleyd sah ihn ernst an. »Mein Glaube ist meine Überzeugung, mein Leben. Ich kann nicht den Sinn meines Daseins aufgeben, nur weil eine Institution es mir verbietet. Und die heilige römische Kirche will uns vernichten, weil sie Angst um ihre Macht hat. Sie spielt mit dem Unwissen des Volkes. Sie will nicht, dass die einfachen Menschen lesen können, was in der Bibel steht, damit sie ihnen ihre eigene Version der Heiligen Schrift aufzwingen und sie zu einer Herde dummer Schafe machen kann. Schafe blöken nur, aber sie stellen keine Fragen.« Sie holte tief Luft.
Lucien hob ergeben die Hände. »Ich bitte um Verzeihung. Meine Frage war dumm, und ich bewundere Menschen wie Euch, die für ihre Überzeugungen kämpfen.«
»Brav gesprochen, Lucien. Ihr befürchtete schon, Ihr würdet mich enttäuschen und nicht der Mann sein, für den ich Euch halte«, sagte Anne.
Lucien neigte den Kopf und warf Anne eine Kusshand zu.
»Geht es dir gut?«, wandte sich Aleyd nun ängstlich an Armido. »Was haben sie mit dir gemacht? Du warst in der Bastille, mein Gott!«
Armido winkte ab. »Dank unserer großherzigen Gastgeberin habe ich das Schlimmste überwunden. Euer Medicus ist wunderbar!«
»Ich bin sehr froh, Michel in meinen Diensten zu haben. Es gibt so viele Quacksalber, die mit ihren ewigen Aderlässen
und angeblichen Wundertinkturen alles nur noch schlimmer machen.« Anne betrachtete ihre Hände. »Der Chirurg Paré hat künstliche Gliedmaßen aus Silber machen lassen. Unwahrscheinlich, aber doch wahr!«
»Ein silberner Finger ist besser als keiner.« Lucien war beeindruckt.
Der Diener kam zurück und sagte zu Anne: »Es ist alles so gerichtet, wie Madame es angeordnet haben.«
Sie nickte und stand auf, woraufhin sich alle anderen ebenfalls erhoben. »Lucien, bitte führe Mademoiselle Dubray in das Zimmer mit der Einhorn-Tapisserie. Es hat mich gefreut, Mademoiselle, und wir werden uns sicher noch sehen.« Damit entließ sie die beiden und sagte zu Armido, der verunsichert im Raum stand und nicht wusste, was er davon halten sollte: »Ihr seid ein interessanter Mann, Armido.«
Er versteinerte und wartete, was nun kam, doch sie lachte leise.
»Ein anziehender Mann, kein Zweifel, aber momentan ist Lucien genug für mich. Nein, ich bin ein wenig enttäuscht, dass Ihr mir Euer Geheimnis nicht anvertraut habt.«
»Wie belieben?«
»Aleyd. Ihr liebt sie! Oh, mir könnt Ihr es sagen. Eine große Liebe, Leidenschaft! Dafür lebe ich! Sie ist der Grund, warum Ihr zu den Vaudois wollt, oder seid Ihr schon aufgenommen?«
Fast erleichtert sanken seine gespannten Schultern herab, und doch war er erschrocken, dass seine Gefühle für Aleyd ihm so deutlich anzumerken waren. »Nein. Ich sollte vor einigen Wochen aufgenommen werden, aber es kam nicht dazu. Dann wurde David ermordet und jetzt das.«
»Wer ist David?«
»David Louven, ein Freund und Glaubensbruder von Jules und Aleyd. Seine Leiche trieb eines Morgens in der Seine. Sie
wies Folterspuren auf, und es gibt keinen Zweifel, dass sein Tod auf das Konto von Guy de Mallêt geht. Aber Mallêt arbeitet nicht allein. Ein Monsignore war dabei. Ihr habt ihn gesehen. Sampieri war sein Name.«
»Monsignor Sampieri. Ich werde Erkundigungen einziehen. So, und jetzt geht zu Eurer Aleyd. Das Leben ist zu kurz, um nur eine Minute davon zu vergeuden.« Anne gab ihm einen leichten Kuss auf den Mund. »Küsst sie, aber macht es besser als ich.« Lachend gab sie ihm einen freundschaftlichen Stoß Richtung Tür.
Die Tapisserien mit Motiven aus dem Einhorn-Mythos hingen in dem Raum, der an sein Schlafzimmer grenzte. Aleyd stand vor einem der fein gewebten Wandbehänge und bewunderte die exquisite Handarbeit. Als Armido eintrat, wandte sie leicht den Kopf.
»Sieh dir das an. Ist das nicht wundervoll?« Sie streckte ihre Hand nach ihm aus.
Armido ging zu ihr und umschloss ihre Taille mit den Armen. »Wo ist der Marquis?«
»Gegangen. Er ist der Liebhaber von Madame d’Étampes, nicht wahr?« Sie lehnte ihren Kopf an Armidos Brust.
»Hm.« Ihre Wärme und ihr Duft nahmen ihm den Atem.
»Hier fangen sie das Einhorn. Das ist so traurig. Alles Schöne wird gefangen und zerstört.«
»Wir dürfen es nicht zulassen. Sie dürfen unsere Liebe nicht zerstören, Aleyd. Dass du gekommen bist …« Er konnte noch immer nicht recht glauben, dass er sie hier in den Armen
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