Die Malerin von Fontainebleau
auch mental. Seine Feinde wissen das, obwohl er sich alle Mühe gibt, seine Krankheit zu verbergen. Ich liebe und verehre Seine Majestät, denn er ist ein kluger Mann mit Idealen und Visionen.«
Lächelnd griff sie nach einer Marone. »Aber ritterliche Ideale sind längst aus der Mode. Kaiser Karl hat das eher erkannt. Heute zählt nur kluge Politik. Ein ehrenhafter Zweikampf entscheidet nicht mehr über das Schicksal von Königreichen, auch wenn Franz das gerne hätte. Er war so stark und voller Energie, als er jünger war.«
»Er hat die Krisis überstanden, Anne«, warf Lucien beruhigend ein.
»Nicht auszudenken, was geschieht, wenn sein nichtsnutziger Sohn den Thron besteigt. Oh, wie ich Diane und alle ihre finsteren Spießgesellen hasse!«
Annes Sorge galt nicht nur dem Schicksal des Reiches, dachte Armido, denn sobald der König tot war, musste sie um ihre Stellung und ihre Güter fürchten, und da Diane die Geliebte Henris war, würde diese alles daransetzen, Anne aufs Tiefste zu demütigen.
»Aber davon wollen wir nicht sprechen. Armido, sagt mir, da Ihr den reformierten Kreisen zugetan seid, kennt Ihr Vittoria Colonna persönlich? Ich schätze ihre Gedichte sehr und höre viel von dieser großartigen Frau. Sie verkehrt mit den Kardinälen Pole und Contarini.« Annes Augen leuchteten.
»Leider nein, Madame. Während meiner Jahre in Rom habe ich den großen Michelangelo kennengelernt und eine Reihe anderer Künstler, aber im Grunde bin ich den reformerischen Ideen erst hier wirklich nahegekommen. Gleich nach meiner Ankunft in Fontainebleau habe ich die Bekanntschaft von Jules Dubray gemacht.« Armido drehte den Becher in seinen Händen.
»Jules ist ein stürmischer junger Mann.« Madame d’Étampes lächelte, und Armido hatte den Eindruck, dass sie Jules sehr schätzte. Nun, Anne war eine begehrenswerte Frau, und solange sie ihre Liebschaften diskret behandelte, schien der König nichts dagegen zu haben.
Es klopfte, und der Diener trat wieder ein. Er beugte sich zu Anne und flüsterte ihr etwas zu.
»Kennt Ihr eine Aleyd? Wie war der volle Name?«
»Aleyd Dubray«, sagte der Diener.
Anne hob die Augenbrauen. »Ich wusste nicht, dass Jules verheiratet ist.«
»Sie ist seine Schwester, ich kenne sie.«
»Sie soll hereinkommen.«
Der Diener entfernte sich mit einer Verbeugung. Lucien schien leicht verstimmt. »Anne, Ihr wisst, dass ich heute nicht viel Zeit habe …«
»Ja, gewiss. Ich möchte nur Mademoiselle Dubray begrüßen, und dann widme ich mich ganz Euch.« Anne tätschelte Luciens Hand. »Setzt Euch, mein Lieber.«
Armido konnte sein Glück kaum fassen. Aleyd hatte überlebt und war in Freiheit. Als die Tür aufging und sie hereinkam, sprang er förmlich auf. Sie war blass und hatte dunkle Ränder unter den Augen, doch sie lächelte, und ihre Hand war warm und drückte seine fest, als er sie begrüßte und zu ihrem Stuhl führte. Der Diener hatte für eine zusätzliche Sitzgelegenheit gesorgt.
Anne hatte sich nicht erhoben, hieß ihren Gast jedoch willkommen. »Ach, wir hätten ein kleines Essen vorbereiten lassen sollen. Ihr seht hungrig aus, Mademoiselle.«
»Bitte, keine Umstände, Ihr seid zu gütig, Madame«, sagte Aleyd bescheiden und musterte Armido verstohlen. »Ich, das heißt mein Bruder und ich sind Euch sehr dankbar und …«
»Nun, nun. Es ist meine Pflicht zu helfen. Sagt mir, Aleyd, wo steckt Euer Bruder, und wie geht es ihm? Vielleicht erzählt Ihr uns kurz die andere Hälfte der Geschichte, die Gott sei Dank ein glimpfliches Ende gefunden hat.« Anschließend instruierte sie ihren Diener, der eilig den Raum verließ.
Aleyd faltete die Hände in ihrem Schoß. Sie wirkte schlicht in ihrem dunkelblauen Kleid und der blauweißen Haube auf den rotblonden Haaren, doch ihre Haltung war stolz, und aus ihren Zügen sprachen Klugheit und Stärke. »Ich hörte, wie die Soldaten Armido mitnahmen, und verhielt mich noch eine ganze Zeit lang sehr still, bis ich sicher war, dass sie fort waren. Dann raffte ich meine nassen Röcke und machte mich auf den Weg zu Gé rards Lagerhaus. Irgendwo auf dem Weg dorthin kamen mir Jules und Robert
entgegen. Robert hat uns bei sich versteckt, bis sich die Lage beruhigt hatte. Jules ist mit barbe George nach Lyon gereist, um sich mit Gelehrten aus der Schweiz und Straßburg zu treffen. Sie wollen eine neue Bibel drucken.«
Lucien de Saint-Flour hörte aufmerksam zu. »Warum begebt Ihr Euch in solche Gefahr? Kann ein Glaube es wert sein,
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